Die alte Jungfer (German Edition)
schrecklichen Blütchen schuld sein mußte. Mit welcher Freude sagten dann beide: »Kein Zweifel, es ist der Hasenbraten.«
»Mariette hatte ihn zu sehr gewürzt«, fing dann Mademoiselle an, »ich sage ihr immer, sie soll alles für meinen Onkel und mich milde machen; aber Mariette hat so viel Gedächtnis wie ...« – »Wie der Hase«, fiel Josette ein. »Es ist wahr«, erwiderte Mademoiselle, »sie hat nicht mehr Gedächtnis wie der Hase, das hast du gut gesagt.«
Viermal im Jahr, zu Anfang jeder Jahreszeit, verbrachte Mademoiselle Cormon eine bestimmte Anzahl von Tagen auf ihrem Landgut Le Prebaudet – Es war gegen Mitte Mai, und Mademoiselle Cormon wollte sich überzeugen, ob ihre Apfelbäume gut ›geschneit‹ hatten, ein Ausdruck, mit dem man auf dem Lande den Anblick bezeichnet, den der Blütenfall unter den Bäumen hervorruft. Wenn der kreisförmige Haufen der abgefallenen Blüten wie eine Schneeschicht aussieht, kann der Besitzer auf eine reichliche Mosternte rechnen. Zur selben Zeit, da Mademoiselle Cormon derart ihre Fässer eichte, wachte sie auch über die Reparaturen, die der Winter nötig gemacht hatte, ordnete die Bestellung ihres Gemüse- und Obstgartens an, aus denen sie dann reichliche Vorräte zog. Jede Jahreszeit hatte ihre besonderen Angelegenheiten. Vor ihrer Abreise gab Mademoiselle Cormon ihren Getreuen ein Abschiedsdiner, obwohl sie sie nach drei Wochen wiedersah. Die Abreise von Mademoiselle Cormon war immer eine Begebenheit, die durch ganz Alençon widerhallte. Ihre Stammgäste, die mit einem Besuch im Rückstand waren, kamen dann zu ihr. Ihr Empfangssalon war voll; jeder wünschte ihr eine gute Reise, als ob sie sich hätte nach Kalkutta einschiffen wollen. Am nächsten Morgen standen dann die Handelsleute auf der Schwelle ihrer Läden. Groß und klein sah die Halbkutsche vorüberfahren, und es war, als ob man sich eine Neuigkeit mitteilte, indem der eine zum andern sagte: »Mademoiselle Cormon fährt nach Le Prebaudet!« Hier sagte einer: »Die hat zu leben!« Ein Nachbar erwiderte dann: »Was willst du, mein Lieber, es ist eine brave Person; wenn das Geld immer in solche Hände käme, gäbe es keinen Bettler im Land ...« Dort äußerte sich ein anderer: »Sieh da, ich wundere mich nicht, daß unser hochstämmiger Wein blüht, Mademoiselle Cormon fährt nach Le Prebaudet. Wie kommt es, daß sie gar nicht heiratet?« – »Ich würde sie trotzdem nehmen«, erwiderte ein Spötter, »dann ist die Heirat schon halb gemacht, indem nämlich eine Partei zustimmt, nur die andere will nicht.« – »Bah, für Monsieur du Bousquier wird der Ofen geheizt!« – »Monsieur du Bousquier? ... Sie hat ihm einen Korb gegeben!« Abends sagte man sich bei allen Zusammenkünften feierlich: »Mademoiselle Cormon ist abgereist.« Oder: »Also haben Sie Mademoiselle Cormon abreisen lassen?«
Der von Suzanne zu ihrem Skandal gewählte Mittwoch war durch Zufall just der Abschiedsmittwoch, ein Tag, an dem Mademoiselle Cormon Josette mit dem Gepäck zusetzte, das mitgenommen werden sollte. Am Vormittag waren in der Stadt Dinge geschehen und gesagt worden, die diese Abschiedsversammlung zu einem großen Ereignis stempelten. Madame Granson hatte in zehn Häusern Alarm geschlagen, während das alte Mädchen über das beriet, was sie für alle Fälle auf ihrer Reise mitzunehmen hatte, und der boshafte Chevalier de Valois bei Mademoiselle Armanda d'Esgrignon, der Schwester des alten Marquis d'Esgrignon und Königin des aristokratischen Salons, eine Partie Pikett spielte. Wenn es für niemand gleichgültig war, zu sehen, was für ein Gesicht der Verführer am Abend machen würde, so war es für den Chevalier und Madame Granson wichtig, zu wissen, wie Mademoiselle Cormon in ihrer doppelten Eigenschaft als mannbares Mädchen und als Vorsitzende des Mütterfürsorgevereins die Neuigkeit aufnehmen würde. Was den unschuldigen Du Bousquier angeht, so ging er auf dem Korso spazieren und fing an zu glauben, daß ihn Suzanne zum besten gehabt hatte. Dieser Verdacht bestärkte ihn noch in seinen Grundsätzen bezüglich der Frauen.
An diesen Galatagen war der Tisch bei Mademoiselle Cormon schon um halb vier Uhr gedeckt. Zu jener Zeit dinierte die fashionable Welt von Alençon an außergewöhnlichen Tagen um vier Uhr. Noch während der Kaiserzeit dinierte man wie ehemals um zwei Uhr; aber man aß zu Abend. Eine der Freuden, denen sich Mademoiselle Cormon, ohne sich Böses dabei zu denken, mit besonderem Genuß hingab,
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