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Die alte Jungfer (German Edition)

Die alte Jungfer (German Edition)

Titel: Die alte Jungfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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die erhabene Rolle des Schutzengels zu spielen. Am Morgen, wenn Josette das Bett ihrer Herrin drunter und drüber fand, hatte sie ihre Würde wiedergewonnen; am Morgen nach dem Frühstück wollte sie einen Mann von vierzig Jahren, einen tüchtigen, guterhaltenen Grundbesitzer, der noch für jung gelten konnte.
    Der Abbé de Sponde war unfähig, seiner Nichte in ihren Bemühungen um die Ehe im geringsten beizustehen. Dieser Biedermann, der ungefähr siebzig Jahre zählte, schrieb das Unheil der Französischen Revolution einer Absicht der Vorsehung zu, die in ihrem Zorneseifer die zügellose Kirche treffen wollte. Der Abbé de Sponde hatte sich darum auf den längst verlassenen Pfad begeben, den die Einsiedler, die in den Himmel kommen wollten, ehedem begingen: er führte ein asketisches Leben, ohne Emphase, ohne äußeren Triumph. Er entzog dem Auge der Welt seine Werke der Barmherzigkeit, seine fortwährenden Gebete, seine Bußübungen; er dachte, daß die Priester alle während der Heimsuchung so handeln sollten, und er ging mit gutem Beispiel voran. Während er der Welt ein ruhiges und heiteres Antlitz zeigte, hatte er sich von den weltlichen Interessen vollständig losgesagt: er dachte ausschließlich an die Unglücklichen, die Bedürfnisse der Kirche und sein eigenes Heil. Er hatte die Verwaltung seines Vermögens seiner Nichte überlassen, die ihm die Einkünfte übergab und der er eine mäßige Pension bezahlte, damit er den Überschuß zu heimlichen Almosen und Gaben an die Kirche verwenden könne. Alle Liebe des Abbés war auf seine Nichte übergegangen, die in ihm einen Vater sah; aber es war ein zerstreuter Vater, der die Regungen des Fleisches nicht begriff und Gott dankte, daß er seine teure Tochter im Stande der Ehelosigkeit ließ, denn er hatte seit seiner Jugend die Anschauungsweise des heiligen Chrysostomus angenommen, der geschrieben hat, daß ›der Stand der Jungfräulichkeit dem Stande der Ehe so übergeordnet sei, wie der Engel über dem Menschen stehe‹. Mademoiselle Cormon, die gewohnt war, ihren Onkel zu respektieren, wagte nicht, ihn in die Wünsche nach einer Änderung ihres Zustandes einzuweihen. Der wackere Mann, der seinerseits an den Gang der Dinge im Hause gewöhnt war, hätte übrigens an der Einführung eines Herrn in den Haushalt wenig Gefallen gefunden. Der Abbé de Sponde, der immer mit der Not, die er linderte, beschäftigt und im Gebet entrückt war, hatte häufig ein zerstreutes Wesen, das die Leute der Gesellschaft für Geistesabwesenheit hielten. Er sprach wenig und schwieg auf eine liebenswürdige, wohlwollende Art. Er war ein hochgewachsener Mann, hager, mit ernsten, feierlichen Manieren; sein Gesicht drückte sanfte Gefühle, eine große innere Ruhe aus, und seine Anwesenheit gab dem Hause eine ehrwürdige Autorität. Er hatte eine große Vorliebe für den voltairianischen Chevalier de Valois. Diese beiden majestätischen Überbleibsel des Adels und des Klerus erkannten sich, obwohl ihre Sitten so verschieden waren, an ihren allgemeinen Zügen. Übrigens war der Chevalier ebenso salbungsvoll mit dem Abbé de Sponde, wie er gegen seine Grisetten väterlich war.
    Manche könnten glauben, daß Mademoiselle Cormon alle Mittel anwandte, um zu ihrem Ziele zu kommen, daß sie mit den den Frauen erlaubten Kunstgriffen sich zum Beispiel auf die Toilette verlegte, sich dekolletierte, daß sie von den negativen Koketterien, der Entfaltung eines prächtigen Rüstzeuges, Gebrauch machte. Nichts von alledem! Sie war heldenhaft und unbeweglich in ihren Brusttüchern wie ein Soldat in seinem Schilderhaus, Ihre Kleider, ihre Hüte, ihr ganzer Putz wurde bei den Modewarenhändlerinnen von Alençon hergestellt, zwei buckligen Schwestern, denen es nicht an Geschmack fehlte. Trotz der inständigen Vorstellungen dieser beiden Künstlerinnen sträubte sich Mademoiselle Cormon gegen die Täuschungskünste der Eleganz. Sie wollte in allem anständig sein, an Leib und Schmuck, vielleicht paßte doch die schwerfällige Machart ihrer Kleider gerade gut zu ihrer Physiognomie. Mache sich, wer will, über das arme Ding lustig! Ihr, großmütige Seelen, die ihr euch nicht um die Form kümmert, die das Gefühl annimmt, und es da bewundert, wo ihr es findet, werdet einen Schatz in ihr sehen! Leichtfertige Frauen möchten wohl die Wahrscheinlichkeit dieser Erzählung bezweifeln und sagen, daß in Frankreich kein Mädchen existiert, das zu einfältig ist, sich einen Mann einzufangen, daß Mademoiselle

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