Die alte Jungfer (German Edition)
für einen voraussichtlichen oder schon entschiedenen Korb. Zu Beginn des Jahres 1815 erreichte Rose das unselige Alter, das sie nicht eingestand: sie wurde zweiundvierzig Jahre. Ihr Begehren nahm alsdann eine Stärke an, die an Monomanie grenzte, denn sie sah ein, daß jede Hoffnung auf Nachkommenschaft bald vergeblich sein würde; und was sie in ihrer himmlischen Unwissenheit über alles wünschte, das waren Kinder. Es gab keinen einzigen Menschen in Alençon, der dieser tugendhaften Person auch nur den Wunsch zu einem Liebesabenteuer zugetraut hätte, sie liebte im allgemeinen, ohne etwas Wirkliches von der Liebe zu wissen; sie war eine katholische Agnes, unfähig der kleinsten List der Agnes Molières. Seit einigen Monaten rechnete sie auf einen Zufall. Die Verabschiedung der kaiserlichen Truppen und die Wiederherstellung der königlichen Armee brachte einen gewissen Umschwung in dem Geschick vieler Männer mit sich, die zurückkehrten, die einen mit Halb-Sold, die andern mit oder ohne Pension, jeder in seine Heimat und alle von dem Wunsche beseelt, ihr schlechtes Los zu verbessern und ein Ende zu machen, das für Mademoiselle Cormon ein seliger Anfang sein konnte. Es war unwahrscheinlich, daß unter denen, die sich in der Umgegend niederließen, nicht ein braver, ehrenwerter, vor allen Dingen gesunder Offizier von angemessenem Alter sein sollte, dessen Charakter eine Entschädigung für die bonapartistischen Ansichten wäre; vielleicht würden sich sogar welche finden, die, um eine verlorene Stellung wiederzugewinnen, Royalisten würden. Diese Berechnung ließ Mademoiselle Cormon noch während der ersten Monate des Jahres ihre strenge Haltung wahren; doch das Militär, das in der Stadt seinen Wohnsitz nahm, war durchweg entweder zu alt oder zu jung, zu bonapartistisch oder zu liederlich, in Verhältnissen, die sich mit den Sitten, dem Rang und dem Vermögen von Mademoiselle Cormon nicht vertrugen, und so verzweifelte sie jeden Tag mehr. Die höheren Offiziere hatten alle ihre günstige Stellung unter Napoleon benutzt und sich verheiratet, und diese wurden freilich im Interesse ihrer Familien alle Royalisten. Wie sehr Mademoiselle Cormon Gott auch bat, ihr einen Mann zu geben, damit sie auf christliche Art glücklich sein könne, es war offenbar bestimmt, daß sie als Jungfrau und Märtyrerin sterben sollte, denn kein Mann trat auf, der zu ihrem Gatten geschaffen war. In den Unterhaltungen, die jeden Abend bei ihr stattfanden, wurde das Verzeichnis der Personalakten so gut geführt, daß kein einziger Fremder nach Alençon kam, ohne daß sie über seine Sitten, sein Vermögen und seine Stellung unterrichtet wurde. Aber Alençon ist keine Stadt, die den Fremden herbeilockt, sie liegt auf dem Wege zu keiner größeren Stadt, sie hat keine Möglichkeiten. Nicht einmal die Seeleute, die von Brest nach Paris fahren, halten sich dort auf. Das arme Mädchen begriff endlich, daß sie auf die Eingesessenen angewiesen war; ihr Auge bekam jetzt manchmal einen wilden Ausdruck, den der spitzbübische Chevalier mit einem schlauen Blick erwiderte, wobei er seine Tabaksdose herauszog und die Prinzessin Goritza betrachtete. Er wußte, daß in der weiblichen Jurisprudenz die Treue zur ersten Geliebten eine Bürgschaft für die Zukunft ist. Doch gestehen wir es, Mademoiselle Cormon hatte wenig Geist: sie hatte keine Ahnung von den Kunstgriffen mit der Tabaksdose. Sie verdoppelte ihre Wachsamkeit, um den ›bösen Geist‹ zu bekämpfen. Ihre aufrichtige Frömmigkeit und ihre strengen Prinzipien verbannten ihre grausamen Leiden in die tiefste Verborgenheit ihres Herzens. Jeden Abend, wenn sie allein war, dachte sie an ihre verlorene Jugend, ihre dahingewelkte Frische, an die heißen Wünsche der betrogenen Natur; und während sie ihre Leidenschaft, Hymnen, die dazu verdammt waren, ungedruckt zu bleiben, am Fuße des Kreuzes opferte, nahm sie sich vor, wenn der Zufall ihr einen wohlgesinnten Mann in den Weg stellte, so nähme sie ihn, ohne ihn auf die Probe zu stellen, wie er wäre. Wenn sie an gewissen, besonders harten Abenden ihre guten Eigenschaften einer Prüfung unterzog, so ging sie in Gedanken so weit, einen Unterleutnant, ja einen Raucher zu heiraten, den sie durch ihre Fürsorge, Liebe und Sanftmut zum besten Menschen der Welt zu machen sich vornahm; sie wollte ihn sogar nehmen, wenn er bis über die Ohren verschuldet wäre. Aber es gehörte die Stille der Nacht zu diesen phantastischen Heiraten, wo sie sich darin gefiel,
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