Die alte Jungfer (German Edition)
emporragend, die Rue Saint-Blaise hinauf, auf Le Prebaudet zu, wo das Ereignis sie überraschen sollte, das ihre Heirat beschleunigte und das weder Madame Granson, noch Du Bousquier, noch Monsieur de Valois, noch Mademoiselle Cormon voraussehen konnte. Der Zufall ist der größte Zauberer.
Am Tage nach ihrer Ankunft in Le Prebaudet war Mademoiselle Cormon um acht Uhr morgens während ihres Frühstücks in aller Ahnungslosigkeit damit beschäftigt, die verschiedenen Berichte ihres Aufsehers und ihres Gärtners entgegenzunehmen, als Jacquelin ins Zimmer stürzte.
»Mademoiselle«, rief er ganz außer Fassung, »Ihr Monsieur Onkel schickt einen Eilboten, den Sohn der Mutter Grosmort, mit einem Brief. Der Junge ist vor Tag von Alençon fort, und da ist er schon. Er ist gerannt wie Penelope. Soll man ihm ein Glas Wein geben?«
»Was ist geschehen, Josette? Sollte mein Onkel... ?«
»Da könnte er doch nicht schreiben«, meinte die Dienerin, die die Befürchtungen ihrer Herrin erriet.
»Schnell, schnell!« rief Mademoiselle Cormon, nachdem sie die ersten Zeilen gelesen hatte, »Jacquelin soll Penelope anspannen! Richte dich so ein, daß du in einer halben Stunde alles eingepackt hast«, sagte sie zu Josette, »wir kehren in die Stadt zurück ...«
»Jacquelin!« schrie Josette, die von der Aufregung, die sich im Gesicht der Mademoiselle malte, angesteckt worden war.
Jacquelin, den Josette schon instruiert hatte, kam herbei und sagte: »Aber Mademoiselle, Penelope frißt ihren Hafer.«
»Nun, was geht mich das an? Ich will sofort abfahren.«
»Aber Mademoiselle, es wird regnen!«
»Dann werden wir eben naß.«
»Es brennt«, brummte Josette, ärgerlich über das Stillschweigen, das Mademoiselle beibehielt, während sie den Brief wieder und wieder las.
»Trinken Sie doch wenigstens Ihren Kaffee aus, lassen Sie sich nicht das Blut zu Kopf steigen, Sie sind ganz rot.«
»Ich bin wirklich rot, Josette!« sagte sie, als sie sich in einem Spiegel betrachtete, von dem das Stanniol abfiel und der ihre Züge doppelt verzerrt wiedergab. »Mein Gott, wenn ich häßlich würde!« dachte Mademoiselle Cormon. »Komm, Josette, komm, mein Kind, kleide mich an! Ich will fertig sein, bevor Jacquelin Penelope angespannt hat. Wenn du mein Gepäck nicht so rasch aufladen kannst, lasse ich es hier, lieber, als daß ich Zeit verliere!«
Wenn der Leser begriffen hat, bis zu welchem Grade der krankhafte Wunsch, sich zu verheiraten, in Mademoiselle Cormon gediehen war, wird er ihre Aufregung teilen. Der würdige Onkel teilte seiner Nichte mit, daß Monsieur de Troisville» ehemaliger Offizier in russischen Diensten, Enkel eines seiner besten Freunde, wünsche, sich nach Alençon zurückzuziehen, und ihn, eingedenk der Freundschaft, die der Abbé seinem Großvater, dem Vicomte de Troisville, Eskadronchef unter Ludwig XV., entgegengebracht hatte, um seine Gastfreundschaft bäte. Der alte Generalvikar, in größter Verlegenheit, ersuchte seine Nichte inständig, zurückzukehren und ihm zu helfen, ihren Gast zu empfangen und die Honneurs des Hauses zu machen, denn der Brief hatte sich verspätet, Monsieur de Troisville konnte ihnen schon am Abend über den Hals kommen. Konnte nach Lesen dieses Briefes noch die Sorge für Le Prebaudet in Frage kommen? Der Aufseher und der Pächter, die die Erregtheit ihrer Herrin mit ansahen, verhielten sich ruhig und erwarteten ihre Befehle. Beim Hinausgehen hielten sie sie an, um ihre Aufträge zu erfahren, aber zum erstenmal in ihrem Leben antwortete ihnen Mademoiselle Cormon, die despotische alte Jungfer, die alles selbst beaufsichtigte: »Macht, was ihr wollt!«, was sie vor Verwunderung ganz starr machte; denn ihre Herrin pflegte sonst die Aufsicht so weit zu treiben, daß sie die Früchte zählte und sie sortenweise in ein Buch eintrug, um den Verbrauch jeder Sorte nach der entsprechenden Anzahl kontrollieren zu können.
»Ich glaube zu träumen«, sagte Josette, als sie ihre Herrin wie einen Elefanten, dem Gott Flügel gegeben hatte, die Treppe hinunterfliegen sah.
Bald verließ Mademoiselle trotz strömenden Regens Le Prebaudet und überließ ihre Leute sich selbst. Jacquelin wagte es nicht, den gewöhnlich langsamen Trott der gemächlichen Penelope, die, ähnlich der schönen Königin, deren Namen sie trug, ebensoviele Schritte rückwärts als vorwärts zu machen schien, anzutreiben. Doch als sie dies bemerkte, befahl Mademoiselle Jacquelin mit spitzer Stimme, die arme, ahnungslose Stute, wenn
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