Die alte Jungfer (German Edition)
Welt würde sagen, Sie haben sich einen Vorrat an Liebesglück zugelegt, damit Ihnen die ehelichen Freuden nie ausgehen; es würde neidische Frauen geben, die sagen, Sie seien verderbt. Doch was macht das? Sie würden wahrhaftig geliebt werden. Wenn Athanase Ihnen dumm vorkommt, so ist es nur darum, meine Liebe, weil er zu gescheit ist! Die Extreme berühren sich. Freilich lebt er wie ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren; er hat sich nicht im Schlamm von Paris gewälzt. Nun drehen wir die Sache um, wie mein seliger Mann zu sagen pflegte: es ist dasselbe wie mit Du Bousquier und Suzanne. Sie würde man verleumden, aber über Du Bousquier sagt man alles mit Recht. Verstehen Sie?«
»Nicht mehr, als wenn Sie griechisch mit mir redeten«, versetzte Mademoiselle Cormon und sperrte die Augen weit auf beim Anspannen aller ihrer Geisteskräfte.
»Nun denn, Cousine, um es geradeheraus zu sagen: Suzanne kann Du Bousquier nicht lieben. Und wenn das Herz bei dieser Sache nicht mitspricht...«
»Aber womit liebt man denn, wenn nicht mit dem Herzen?«
Hier nun sagte sich Madame Granson dasselbe, was der Chevalier gedacht hatte: »Diese gute Cousine ist doch zu unschuldig, das geht schon über das Erlaubte !« Laut äußerte sie: »Liebes Kind, mir scheint, daß die Kinder nicht bloß durch den Geist empfangen werden.«
»Aber ja doch, meine Liebe, denken Sie doch an die Heilige Jungfrau ...«
»Aber Du Bousquier ist nicht der Heilige Geist!«
»Das ist wahr«, gab Mademoiselle zurück, »er ist ein Mann! – ein Mann, dessen Wesen so gefährlich ist, daß sich seine Freunde damit befassen müssen, ihn zu verheiraten.«
»Sie können dies herbeiführen, Cousine ...«
»Auf welche Art?« rief das alte Mädchen mit dem Enthusiasmus der christlichen Barmherzigkeit.
»Empfangen Sie ihn nicht mehr, bis er eine Frau genommen hat! Sie sind es der Moral und der Religion schuldig, sein Verhalten auf eine exemplarische Weise zu mißbilligen.«
»Bei meiner Rückkehr aus Le Prebaudet werden wir weiter von der Sache reden, liebe Madame Granson; ich werde meinen Onkel und den Abbé Couturier befragen«, sagte Mademoiselle Cormon und begab sich wieder in den Salon, wo gerade eine höchst angeregte Stimmung herrschte.
Die Lichter, die Gruppen geschmackvoll gekleideter Frauen, der feierliche Ton, der aristokratische Anstrich dieser Versammlung erfüllte Mademoiselle Cormon wie ihre Gesellschaft mit großem Stolz. Viele waren der Ansicht, daß es in Paris in den besten Kreisen nicht vornehmer zuginge. In diesem Augenblick war Du Bousquier, der mit Monsieur de Valois und zwei alten Damen, Madame Coudrai und Madame du Ronceret, eine Whistpartie spielte, der Gegenstand einer dumpfen Neugierde. Einige junge Frauen näherten sich ihm unter dem Vorwand, beim Spiel zuzusehen, und betrachteten ihn, obwohl verstohlen, mit so eigentümlichen Blicken, daß der alte Junggeselle schließlich glaubte, etwas an seiner Toilette versäumt zu haben.
›Sollte mein Toupet schief sitzen?‹ fragte er sich in der quälenden Unruhe, welche alte Junggesellen manchmal befällt. Er benutzte einen schlecht ausgespielten Zug, der einen siebenten ›Robber‹ beendete, um vom Tisch aufzustehen.
»Ich kann keine Karte berühren, ohne zu verlieren!« sagte er. »Ich habe wirklich zu großes Pech!«
»Sie sind zu glücklich an anderer Stelle«, versetzte ihm der Chevalier mit einem bedeutsamen Blick.
Diese Antwort machte natürlich die Runde durch den Salon, und jeder war voll Bewunderung über den köstlichen Witz des Chevaliers, dieses Talleyrand von Alençon. »Niemand anders als Monsieur de Valois kann solche Sachen sagen«, meinte die Nichte des Pfarrers von Saint-Léonard.
Du Bousquier betrachtete sich in dem kleinen länglichen Spiegel über dem ›Deserteur‹ und fand nichts Außergewöhnliches an sich. Nach unzähligen Wiederholungen des unendlich variierten Textes vollzog sich der Aufbruch um zehn Uhr, und die Gäste nahmen ihren Weg entlang der Garderobenablage durch das langgestreckte Vorzimmer. Einigen Bevorzugten gab Mademoiselle Cormon das Geleit bis auf die Vortreppe und umarmte sie zum Abschied. Die einen gingen dem Schloß und der Straße nach der Bretagne zu, die andern begaben sich nach dem an der Sarthe gelegenen Stadtteil. Dann begannen die Gespräche, die auf diesem Wege zu dieser Stunde seit zwanzig Jahren geführt worden waren. Es hieß unfehlbar: »Mademoiselle Cormon sah heute abend gut aus.« – »Mademoiselle Cormon? ... Ich
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