Die alte Jungfer (German Edition)
meine Nichte, Mademoiselle Cormon.«
›Oh, der gute Onkel, wie er die Sache gleich so gut anfaßt‹, dachte Rose-Marie-Victoire.
Der Vicomte war, um ihn mit zwei Worten zu schildern, ein Du Bousquier als Edelmann. Der ganze Unterschied, der die gewöhnliche Art von der vornehmen Art trennt, lag zwischen ihnen. Wenn sie beide zusammen dagewesen wären, hätte selbst der eingefleischteste Liberale nicht die Aristokratie leugnen können. Die Kraft des Vicomte war von Eleganz geadelt; in seinen Körperformen prägte sich Würde aus; er hatte blaue Augen und schwarze Haare, einen olivfarbenen Teint und konnte nicht älter sein als sechsundvierzig Jahre. Er war wie ein schöner Spanier, der sich in dem Eise Rußlands gut konserviert hatte. Die Manieren, der Gang, die Haltung, alles verriet den Diplomaten, der Europa kennengelernt hatte. Er war gekleidet wie ein vornehmer Mann auf Reisen. Monsieur de Troisville schien müde zu sein, der Abbé bot ihm an, ihn in das für ihn bestimmte Zimmer zu geleiten, und war ganz verdutzt, als seine Nichte das in ein Schlafzimmer verwandelte Boudoir öffnete. Mademoiselle Cormon und ihr Onkel überließen den noblen Fremden dann seinen Obliegenheiten, bei denen ihm Jacquelin, der das benötigte Gepäck herbeischaffte, behilflich war. Der Abbé de Sponde und seine Nichte machten einen Spaziergang längs der Brillante, um sich die Zeit zu verkürzen, bis Monsieur de Troisville seine Toilette beendet haben würde. Obwohl der Abbé de Sponde durch einen sonderbaren Zufall zerstreuter war als sonst, so war seine Nichte nicht minder mit ihren Gedanken beschäftigt. Beide gingen schweigend dahin. Niemals hatte die alte Jungfer einen so hinreißenden Mann gesehen wie diesen olympischen Vicomte. Sie konnte sich nicht, nach Art einer Deutschen, sagen: »Das ist mein Ideal!« Aber sie war vom Kopf bis zu den Füßen hingerissen und sagte sich: »Das ist etwas für mich!« Plötzlich schoß sie in die Küche, um zu sehen, ob das Diner einen Aufschub erleiden könne, ohne von seiner Güte einzubüßen.
»Dieser Monsieur de Troisville ist sehr liebenswürdig, Onkel«, sagte sie, als sie wiederkehrte.
»Er hat doch noch gar nichts gesagt, mein Kind«, gab ihr der Abbé lachend zur Antwort.
»Aber man sieht das an seinem Auftreten, an seiner Physiognomie. Ist er unverheiratet?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Abbé, der an ein bewegtes Gespräch mit dem Abbé Couturier über die Gnade dachte; »Monsieur de Troisville hat mir geschrieben, daß er hier ein Haus kaufen möchte. Wenn er verheiratet wäre, würde er wohl nicht allein gekommen sein«, warf er sorglos hin, denn es fiel ihm nicht ein, daß seine Nichte den Wunsch haben könne, sich zu verheiraten.
»Ist er reich?«
»Er ist der Jüngste eines jüngeren Zweiges«, erwiderte der Onkel; »sein Großvater hat Schwadronen kommandiert; aber der Vater dieses jungen Mannes hat sich schlecht verheiratet.«
»Dieser junge Mann!« hauchte die alte Jungfer; »aber mir scheint, Onkel, daß er gut fünfundvierzig Jahre alt ist«, sagte sie, denn sie empfand ein ausgesprochenes Verlangen, ihrer beider Alter in Beziehung zueinander zu bringen.
»Ja«, meinte der Abbé, »aber einem armen Priester von siebzig Jahren erscheint ein Vierziger jung.«
In ganz Alençon wußte man nun schon, daß der Vicomte de Troisville bei Mademoiselle Cormon angelangt war. Der Fremde gesellte sich bald zu seinen Wirten und bewunderte den Anblick der Brillante, den Garten und das Haus.
»Es wäre mein sehnlichster Wunsch, Monsieur l'Abbé, ein Haus wie dieses zu finden.« Die Jungfer wollte eine Erklärung darin erblicken und schlug die Augen nieder. –»Sie müssen es sehr lieben, Mademoiselle«, sagte der Vicomte.
»Wie sollte ich es nicht lieben! Es ist seit dem Jahre 1574 in unserer Familie. Um jene Zeit erwarb einer unserer Vorfahren, der Intendant des Duc d'Alençon, das Grundstück und, erbaute es«, gab Mademoiselle Cormon zur Antwort. »Es ist auf Grundpfählen erbaut.«
Da Jacquelin meldete, daß serviert sei, reichte Monsieur de Troisville dem glücklichen Mädchen seinen Arm; doch war sie bemüht, sich nicht zu sehr darauf zu stützen, damit es nicht den Anschein habe, als käme sie ihm entgegen.
»Alles ist sehr harmonisch hier«, äußerte sich der Vicomte, als man Platz nahm.
»Unsere Bäume sind voller Vögel, die uns umsonst Musik machen; niemand stört sie, und jede Nacht singt die Nachtigall«, flötete Mademoiselle Cormon.
»Ich.
Weitere Kostenlose Bücher