Die alte Jungfer (German Edition)
meine das Innere des Hauses«, bemerkte der Vicomte, der sich nicht die Mühe nahm, Mademoiselle Cormon zu studieren, und ihre Geistesarmut nicht erkannte, »ja, alles ist im Einklang, wie berechnet, die Farbtöne, die Möbel, der Charakter.«
»Es kostet uns aber auch ein Stück Geld, die Abgaben sind enorm«, erwiderte die gute Mademoiselle. die das Wort ›berechnet‹ auffing,
»So! Die Abgaben sind hoch hier?« fragte der Vicomte, der zerstreut war und das ungereimte Zeug nicht beachtete.
»Ich weiß nicht«, sagte der Abbé; »meine Nichte verwaltet unser beider Vermögen.«
»Die Abgaben sind eine Lappalie für reiche Leute«, versetzte Mademoiselle Cormon, die nicht für geizig gelten wollte; »was die Möbel angeht, so lasse ich sie, wie sie sind, und ändere nichts. Es sei denn, daß ich mich verheitatete; dann soll alles hier nach dem Geschmack des Hausherrn gerichtet werden.«
»Sie haben vortreffliche Grundsätze, Mademoiselle«, meinte lächelnd der Vicomte. »Sie werden einen Mann glücklich machen ...«
›Noch nie hat mir jemand etwas so Schönes gesagt‹, dachte Mademoiselle.
Der Vicomte machte Mademoiselle Cormon Komplimente über das Tafelservice, die Führung des Hauses und bekannte, daß er die Provinz für rückständig gehalten habe; er finde sie jedoch ›sehr komfortabel‹.
›Was ist das für ein Wort, mein Gott‹, ging es ihr durch den Kopf; ›wäre doch der Chevalier da, um darauf zu antworten. Kom-for-tabel! Sind das mehrere Wörter? Mut!‹ sagte sie sich, ›es ist vielleicht ein russisches Wort, ich brauche nicht darauf zu antworten ...‹ – »Aber«, fing sie laut an, denn wie bei allen menschlichen Wesen in entscheidenden Momenten löste sich auch ihr die Zunge, »wir haben hier die glänzendste Gesellschaft, Monsieur. Die Zusammenkünfte der Stadt sind übrigens stets bei mir. Sie werden gleich selbst sehen, denn einige unserer Freunde haben sicher von meiner Rückkehr gehört und werden mich besuchen wollen. Da ist der Chevalier de Valois, ein Edelmann des vormaligen Hofes, der ungemein viel Geist und Geschmack besitzt; dann der Marquis d'Esgrignon und Mademoiselle Armande, seine Schwester« (sie besann sich eines Besseren und biß sich auf die Lippen) »... eine in ihrer Art bemerkenswerte Dame«, fügte sie hinzu, »Sie wollte unvermählt bleiben, um ihr Vermögen ihrem Bruder und ihrem Neffen zu hinterlassen.«
»Ah!« ließ sich der Vicomte hören; »ja, die d'Esgrignon, ich erinnere mich ihrer.«
»Alençon ist sehr lustig«, fing Mademoiselle wieder an, die in Schwung gekommen war, »man amüsiert sich hier vortrefflich. Der Obersteuereinnehmer gibt Bälle, der Präfekt ist ein liebenswürdiger Mann, Monseigneur, der Bischof, beehrt uns manchmal mit seinem Besuch ...«
»Nun«, sagte der Vicomte lächelnd, »ich habe gut daran getan, zurückzukommen und, wie der Hase, im Lager zu sterben.«
»Ja, ich bin auch wie ein Hase«, stimmte die alte Jungfer ein, »ich sterbe da, wo ich hingehöre.«
Der Vicomte hielt das so wiedergegebene Sprichwort für einen Scherz und lächelte.
»Ei!« dachte das alte Mädchen, »alles geht gut, dieser hier versteht mich.«
Die Unterhaltung bewegte sich in Allgemeinheiten. Kraft einer geheimnisvollen, unbekannten und unerklärlichen Macht fand Mademoiselle Cormon, im Drange liebenswert zu erscheinen, in ihrem Hirn alle Redewendungen des Chevaliers de Valois. Es war wie in einem Duell, in dem der Teufel selbst die Pistole anzulegen schien, Niemals wurde besser auf einen Gegner gezielt. Der Vicomte de Troisville war zu taktvoll, um von der Vortrefflichkeit des Diners zu sprechen. Doch sein Schweigen war ein Lob. In den köstlichen Weinen,. die ihm Jacquelin verschwenderisch kredenzte, glaubte er Freunde wiederzuerkennen, die er mit lebhafter Freude wiedersah; und der wirkliche Kenner gibt seinen Beifall nicht laut kund: er genießt. Er erkundigte sich wißbegierig nach dem Preis der Grundstücke, der Häuser, der Baustellen. Er ließ sich von Mademoiselle Cormon lang und breit die Stelle beschreiben, wo die Brillante und die Sarthe zusammenfließen. Er wunderte sich, daß sich die Stadt so weit von dem Fluß entfernt hingesetzt habe; die Topographie des Landes interessierte ihn sehr. Der schweigsame Abbé ließ seine Nichte das große Wort führen. In der Tat glaubte Mademoiselle Cormon den Vicomte eingefangen zu haben; er lächelte ihr gewinnend zu und knüpfte während dieses Diners festere Bande, als die eifrigsten Freier
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