Die alte Villa (German Edition)
lesen:
„Liebe Greta,
meine über alles geliebte Tochter, -
Er ist von meiner Mutter“, rief sie aufgeregt und las laut weiter, damit Jeremy mithören konnte:
„wenn du diese Zeilen lesen wirst, bin ich schon längst gestorben...“ -
Sie zögerte einen Augenblick, schaute Jeremy unsicher an und richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf den Briefbogen. Ihre Begeisterung war auf einen Schlag einer tiefen Betroffenheit gewichen und leise las sie weiter.
„...denn heute bist du noch viel zu klein, um lesen zu lernen und ich bin eine todkranke Frau. Ich bin sehr traurig, dass ich dich schon jetzt verlassen muss und außerdem ratlos, was ich dir mit auf deinen Lebensweg geben soll.
Weder du noch deine Schwester Elisabeth sind heute alt genug, um zu verstehen, in welches Unglück unsere Familie damals gestürzt wurde, als die junge Adlige Marianna von Költing, die zu den Vorfahren unserer Familie gehörte, auf dem Scheiterhaufen verbrannte.
Noch älter als dieses Verbrechen aber ist die Feindschaft der Familien ‚von Költing’ und ‚von Hohenstein’.
Und diese Feindschaft existiert unglücklicherweise noch heute.
Die Namen haben sich geändert mit der Zeit: Von Grabnitz, Hilmar, ja, sogar Müller... und heute sind es die Reutlins, die unter den Verleumdungen und dem Hass der Nachfahren der ‚von Hohensteins’, die heute Meertens, Kelbel, Willnauer oder Krause heißen, leiden müssen.
Ich weiß genau, dass sie dich und deine Schwester nicht in Ruhe lassen werden.
Denn ihre Furcht vor unserer Familie ist unermesslich groß.
Uns machen sie verantwortlich für ihr eigenes Unglück. Sie glauben, dass wir mit Magie und Hexerei deren Unglück weiterhin herbeiführen.
Und es ist tatsächlich so, dass man einigen Mitgliedern unserer Familie übersinnliche Kräfte nachsagte und immer noch nachsagt.
Ich selber kenne mich in Kräuterkunde und vielen anderen Methoden der weißen Magie aus, die doch nur dazu dienen sollen, die Kräfte der unendlichen göttlichen Weisheit mit denen, die in uns wohnen, zu vereinen.
Niemals würde ich damit einem anderen Menschen schaden wollen!
Im Gegenteil, habe ich mein Leben lang versucht, zu helfen wo ich konnte. Dass so viele ‚von Hohensteins’ und auch noch deren Nachkommen auf so seltsame Art und Weise umgekommen sind, muss andere Ursachen haben.
Vielleicht ist es sogar ein Fluch, der auf dieser Familie lastet, aber selbst, wenn dieser Fluch mit uns zu tun hätte, so würden sie sich nicht davon befreien können, indem sie uns vernichten, sondern würden den Fluch dadurch nur verstärken.
Ich habe darauf verzichtet, unser schönes großes Haus, das Ignatius von Költing, Mariannas Vater, vor beinahe 300 Jahren erbaut hat, zurückzufordern.
Einerseits glaubte ich nicht, dass ich dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre und andererseits zog ich es vor, in einer kleinen Wohnung mit euch zu leben, als in einem Haus, in dem sich mindestens zwei Nachfahren der ‚von Hohensteins’ erhängt hatten.
Meine liebe Greta,
vielleicht liegt es jetzt an dir oder an deinen Kindern, diese Feindschaft zu beenden.
Ich weiß ja nicht, wo du sein wirst, wenn du diesen Brief liest, aber ich möchte dich bitten, so bald wie möglich Kontakt mit deiner Patin Tamara Kronenberg aufzunehmen.
Sie wohnt in unserer Heimatstadt, in der Buchenallee 11 und sie wird dir vieles beibringen können, wovon ich sicher bin, dass du es eines Tages brauchen wirst.
Bei ihr liegt der Schlüssel zu Weisheit und Wahrheit.
Mein liebes Kind, ich wünsche dir alles Glück dieser Erde und küsse und umarme dich ein letztes Mal.
Deine Mutter
Johanna Reutlin“
Greta ließ den Brief sinken. Dann sagte sie mit Tränen in den Augen:
„Ich bin unendlich froh, diesen Brief zu besitzen. Es ist fast so, als hätte ich meine Mutter wiedergefunden.“
Jeremy setzte sich neben sie.
„Wenn ich den Brief doch nur früher gelesen hätte. Vielleicht hätte ich mich nicht mehr so verloren gefühlt, all’ die Jahre“, fuhr sie fort.
„Na, wer weiß, wofür es gut war. Seltsam diese Sache mit dem Fluch“, überlegte Jeremy.
„Der Arzt im Kinderheim hieß Kelbel“, sagte Greta plötzlich. „Aber das ist ja schon so lange her und er war schon ziemlich alt.“
„Trotzdem seltsam“, sagte Jeremy.
Er stand auf.
„Wir müssen den Brief hier irgendwo gut verstecken und dann muss ich dich in die Klinik fahren. Wir haben ja einen Termin mit Dr. Bekell.
„Nein, ich möchte nicht mehr
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