Die alte Villa (German Edition)
Schwestern hatten sie gemeinsam mit Maria, einem schon älteren Mädchen aus dem Heim, ins Dorf geschickt, um dort einige Besorgungen zu machen. In zwei Wochen war Weihnachten und die Menschen schienen sich mal wieder reichlich mit Vorräten eindecken zu wollen, um gut über die Feiertage zu kommen.
Die Erinnerung an den Hunger des Krieges war noch zu frisch, als dass man dem Frieden und der langsam immer besser werdenden Versorgung mit allen nötigen Lebensgütern schon trauen konnte.
Maria hatte ihr den Auftrag erteilt, Brote aus der Bäckerei des Ortes zu holen, während sie selber zum Schuster ging. Der gute alte Schuster des kleinen Alpendorfes reparierte die Schuhe der Heimkinder immer besonders gerne und vor allem günstig.
Greta betrat die Bäckerei, in der schon so früh am Morgen ein reger Andrang herrschte.
Eine lange Schlange von Menschen führte quer durch den gemütlichen Laden und erreichte schon beinahe die große schwere Eingangstür aus Holz. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie aus dem Laden herausführen und sich auf dem Bürgersteig vor dem Laden in einer kleinen Menschentraube fortsetzen würde.
Sie stellte sich ganz hinten an. Direkt vor ihr stand ein junger Mann mit dunklen Haaren.
Er trug eine dicke wattierte dunkelbraune Cordjacke.
Es kam ihr zwar äußerst merkwürdig vor, doch spürte sie gleich eine sonderbare Ausstrahlung, die von diesem Mann ausging und die sie sich nicht erklären konnte. Voller Verwunderung betrachtete sie den breiten Rücken und dichte, etwas vom Kopf abstehende Haare.
Jeremy spürte wohl die Blicke in seinem Rücken, denn ganz plötzlich drehte er sich um und schaute in zwei große blaue Mädchenaugen, die ihn die ganze Zeit sehr aufmerksam beobachtet hatten.
Gretas Herz begann heftig zu schlagen, als dieser fremde junge Mann sie so direkt anlächelte.
Jeremy Schwabig hatte ein rundes kräftiges Gesicht und man sah ihm gleich an, dass er viel draußen, an der frischen Luft, arbeitete.
Während der langen Wartezeit schaute er sich noch mehrere Male nach dem kleinen blonden Mädchen um und lächelte ihr aufmunternd zu. Dabei machte er ein paar belanglose Bemerkungen und Greta tat nichts weiter als da zu stehen und ihn verwundert anzustarren.
Und dann passierte es.
Als sich Jeremy gerade wieder zu dem hinter ihm wartenden Mädchen umgedreht und ihr zugezwinkert hatte, eroberte ein winzig kleines Lächeln dessen Gesichtszüge.
Er hatte sich die ganze Zeit schon gewundert, dass dieses kleine hübsche Mädchen so ernst schaute, wo er doch für gewöhnlich die Herzen der Kinder immer im Handumdrehen eroberte und sie zum Lachen bringen konnte, wie es ihm gefiel.
Ihr zartes vorsichtiges Lächeln, das viel zu schnell wieder aus ihrem blassen Gesicht verschwunden war, berührte ihn zutiefst. Es kam von so weit her und war praktisch gar nicht mehr von dieser Welt, von der Welt, in der er lebte und die seinen Alltag bestimmte.
Nachdem er seine Einkäufe erledigt hatte und an Greta vorbei gehen musste, um die Bäckerei zu verlassen, blieb Jeremy neben dem zierlichen Mädchen stehen und fragte sie nach ihrem Namen. Er stellte sich ebenfalls vor und fragte, wo sie wohnte. Sie erklärte ihm den Weg zu ihrem Heim und er nickte. Dabei lächelte er sie wieder so freundlich an, dass Greta es noch einmal wagte, ihm ein Lächeln zu schenken, ein richtiges diesmal, bei dem sich ihre Mundwinkel aufwärts bewegten und welches ihr eine Welle der Freude bescherte, dass sie am liebsten und gleichzeitig auch noch geheult hätte.
Sie fragte sich, ob dieses Lächeln vielleicht einer ganz anderen gehörte, einer anderen Greta vielleicht, die sie bisher noch nicht kennen gelernt oder deren Bekanntschaft sie einfach nur vergessen hatte.
Noch nie im Leben hatte sie jemanden auf Anhieb so gern gehabt, wie diesen jungen Mann.
Als sie ihre Einkäufe erledigt hatte, machte sie sich fröhlich hüpfend auf die Suche nach Maria.
An den Seiten der Gehwege türmten sich Berge von Schnee. Sträucher, Holzpfeiler, Mülltonnen, einfach alles trug heute lustige Schneezipfelmützen.
Sie liebte den Winter, wenn die ganze Welt unter einer dicken weißen Decke schlief. Der Anblick der farb- und leblosen Landschaft gab ihr ein klitzekleines Gefühl von Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zu der Welt da draußen. Wenn sie ihre Farben verloren hatte, wurde sie ihrer eigenen Welt doch schon etwas ähnlicher und das erfüllte sie mit einem Hauch von Zufriedenheit.
Ihr eigenes
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