Die alte Villa (German Edition)
ordentlich viel essen, damit sie kräftiger würde.
Greta war glücklich. Als sie spät abends in ihrem Bett lag, dachte sie noch lange über das Erlebte nach. Nun würde es noch viel unerträglicher sein, weiterhin hier im Heim zu leben, da sie nun tatsächlich selbst am eigenen Leib erfahren hat, wie wundervoll die Welt da draußen ist.
In der Nacht träumte sie von den Kühen, die sie mit einem lauten „Muuuh“ begrüßten, als sie in den Stall trat und von Jeremy, der sie auf den Arm nahm und herumschleuderte, bis ihr schwindelig wurde. Seine Mutter reichte ihr eine Tasse heißen Kakao und der Bauer lächelte ihr zu. Sie strahlte vor Glück und sah ihr eigenes Gesicht im Traum, so wie sie es noch nie gesehen hatte. Sie fand sich wunderschön und erwachte am nächsten Morgen mit einem so glücklichen Gefühl, dass sie am liebsten nie wieder aufgestanden wäre, damit es nur nicht vorüber ging.
Die anderen Mädchen konnten nicht verstehen, warum Greta so glücklich vom Hof der Schwabigs heimkehrte. Louisa, ein gleichaltriges Mädchen, welches beim Essen immer neben Greta saß, erzählte, dass sie es hasste auf dem Feld die Kartoffeln einzusammeln. Das mussten alle Heimkinder im Herbst tun. Sie hockten dann gemeinsam auf dem Feld, jeder übernahm einen kleinen Abschnitt des Ackers und der Bauer fuhr mit einem Pflug vor ihnen her und grub die reifen Kartoffeln aus der Erde, welche die Kinder geschwind in Körbe sammelten.
Für diesen Dienst bekamen sie ein gutes Essen auf dem Bauernhof. Greta liebte auch diese Betätigung, wenn sie auch nicht zu vergleichen gewesen wäre mit den Erlebnissen, die sie auf dem Bauernhof der Familie Schwabig gehabt hatte
Wie es aussah, sollte ihre ganz persönliche Glückssträhne noch nicht vorüber sein, denn nach dem Frühstück wurde sie ins Zimmer der Schwester Oberin gerufen.
Schüchtern stand sie mit gesenktem Blick vor dem riesengroßen Schreibtisch der Leiterin des Heims. Sie fürchtete sich, da sie überhaupt noch nie etwas Erfreuliches in Zusammenhang mit einer Schwester im Heim erlebt hatte.
„Greta“
Sie blickte die Heimleiterin aus ängstlichen Augen an.
„Ja, Frau Oberin?“
Die hochgewachsene Schwester lächelte, was Greta doch sehr verwunderte. Sie kannte die Leiterin des Heimes bisher nur als äußerst strenge und dabei wortkarge Person. Sie schöpfte ein wenig Mut.
„Die hochangesehene Familie Schwabig hat angefragt, ob du für einen weiteren Tag auf deren Hob arbeiten könntest. Du wirst am Samstag vom jungen Herrn Schwabig gleich nach dem Frühstück um 6.30 Uhr abgeholt – Geh’ nun wieder rasch und ohne Umweg in den Speiseraum!“
Ganz davon abgesehen, dass sie noch nie alleine im Heim umhergehen durfte, schwebte
sie nun förmlich über den Gang und dachte, dass sie gleich abheben müsse, so wunderbar leicht fühlte sie sich. Sie war nicht mehr allein auf der Welt! Es gab Menschen, die sie gefunden hatten. Wie sehr hatte sie gebetet und gefleht, dass man sie hier finden würde. Dass sie irgendjemand ‚von da draußen’ finden würde…
Als der Gang sie in einer scharfen Rechtskurve abbiegen ließ, wäre sie beinahe mit Schwester Gabriela zusammengestoßen. Diese schaute sie mit zusammengekniffenen Lippen an und bemerkte sogleich, dass der sonst so ernsten und verschlossenen Greta etwas sehr Ungewöhnliches widerfahren sein musste. Sie musterte Greta von Kopf bis Fuß. Dann sagte sie unvermittelt.
„Komm mal mit, ich glaube, ich muss dir so einiges erzählen.“
Greta folgte ihr in ein Büro. Hier war es beängstigend still. Der Raum wirkte kalt und ungemütlich.
„Setz dich“, forderte sie die Schwester auf und Greta setzte sich auf einen harten Holzstuhl mit hoher Lehne. Ihr war unbehaglich zumute, denn was Schwester Gabriela zu erzählen hatte, konnte nur etwas Unangenehmes sein.
„Ich habe gehört, dass du wieder auf den Bauernhof gehen sollst, Greta.“
Greta nickte.
„Ich hoffe, du hast abgelehnt. – falls man dich gefragt hat“
Ängstlich und ohne ein Wort zu erwidern, schaute Greta die hagere Schwester an und sie fragte sich gerade, ob sie überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, selbst zu entscheiden, ob sie auf den Hof der Schwabigs gehen wollte oder nicht. Aber was spielte das auch für eine Rolle, da der Bauernhof der schönste Ort auf der ganzen Welt war. Nur ein Wahnsinniger hätte sich geweigert, dort hinzugehen, das war ihre tiefste Überzeugung, da konnte Schwester Gabriela erzählen, was sie wollte.
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