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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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fremdartigen Wappen des cremefarbenen Briefbogens.
    Seit Ende Oktober war sie nun schon bettlägerig. Zu der anfänglichen Erkältung hatte sich innerhalb weniger Tage eine fiebrige Bronchitis gesellt. Nachts wurde sie stundenlang vonHustenkrämpfen geschüttelt, gegen die weder der Salbeitee half, den Johanna ihr kannenweise kochte, noch der dunkelbraune, nach bitteren Kräutern schmeckende Hustensirup vom Doktor, der jeden zweiten Tag nach ihr schaute. Sein Gesicht mit den buschigen Brauen und den wulstigen Lippen, die eher zu einer Frau gepasst hätten, war das Einzige, was sie von Lauscha zu sehen bekam. Sie brauche strengste Bettruhe, andernfalls müsse man mit dem Schlimmsten rechnen, hatte er Johanna im Hinausgehen zugeraunt. Auch ohne seine Warnung hätte Wanda nicht der Sinn nach einem Ausflug ins Dorf gestanden, wo sie es kaum bis ins Waschhaus schaffte. Sie verbrachte ihre Tage in einer Art Dämmerzustand, was im Haus vorging, nahm sie nur wie durch einen Schleier wahr. Ständig schien die Hausglocke zu bimmeln, kamen oder gingen Besucher, deren Schritte sie im Flur knarren hörte. Einmal glaubte Wanda, englische Wortfetzen zu vernehmen. Sie nahm sich vor, ihre Tante zu fragen, ob sie richtig gehört hatte, doch als Johanna das nächste Mal bei ihr hereinschaute, hatte sie ihre Frage vergessen.
    Das Schlimmste an ihrer Krankheit war nicht, dass ihre Brust wie ein lodernder Vulkan war, der heiße Brocken Lava spie und sie von innen her ausbrannte. Oder das Fieber, das sie im einen Moment schwitzen, im nächsten wie Espenlaub zittern ließ. Das Schlimmste war die Tatsache, dass sie in Annas Zimmer untergebracht war, und deren unterdrückte Seufzer, wenn ihr durch Wandas Dauerhusten abermals der Schlaf geraubt wurde. Ihre stummen, feindseligen Blicke, wenn sie nach einer durchwachten Nacht mit ihrem verstauchten Knöchel in die Werkstatt humpelte, während Wanda im Bett bleiben konnte, wo sie die Vormittagsstunden meist hustenfrei verschlief. Immer wieder bot Wanda an, anderswo zu nächtigen – wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man ihr ein Lager auf dem Dachboden richten können –, doch davon wollte Johanna nichts hören. Im Gegenteil: Siefand es gut, dass Anna nachts in Wandas Nähe war, sollte das Fieber plötzlich steigen oder eine sonstige Krise eintreten.
    Wenn Wanda daran dachte, wie dumm sie sich wegen des Zimmers am Tag ihrer Ankunft angestellt hatte, wurde sie noch immer rot.
    »So, und das hier ist Annas Zimmer!« Schwungvoll hatte ihre Tante die Tür aufgerissen und einen von Wandas Koffern mitten im Raum abgestellt. Natürlich hatte sich Wanda über das zweite Bett gewundert. Doch dann hatte sie es als Überbleibsel aus Annas Kindertagen eingeordnet. Ein Bett für die Puppen und Teddys vielleicht. Trotzdem hatte sie gefragt: »Schön, und wo ist nun mein Zimmer?« Johanna hatte sie mit großen Augen angesehen – wahrscheinlich hielt sie die Frage für einen Scherz.
    Im Wechsel bereiteten Mutter und Tochter nun seit Wochen Quarkwickel, kochten Zwiebeln mit Kandiszucker auf – diese eklige Mischung linderte zumindest für kurze Zeit Wandas Hustenreiz – und flößten der Kranken heiße Hühnerbrühe ein. Wanda ließ alles mit sich geschehen. Ihr Charme war dem Fieber gewichen, ihr sorgloses Lachen verstummt. Ein Scherz oder eine lustige Bemerkung, mit der sie ihrer Situation das Belastende hätte nehmen können, brachte sie nicht zustande. Alles, wofür sie in den Wochen vor und während ihrer Reise gelebt hatte, brach zusammen. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, ihrer Familie eine Hilfe zu sein! Stattdessen war sie für Johanna nur eine Last. Am liebsten hätte sich Wanda unsichtbar gemacht. Da dies nicht möglich war, tat sie das ihrer Ansicht nach Zweitbeste: Sie verhielt sich so still wie möglich.
    Zweimal am Tag – einmal kurz nach dem Mittagessen, das zweite Mal nach getaner Arbeit – schauten ihr Cousin und Onkel Peter auf einen Sprung bei ihr vorbei, alle paar Tage ließ sich auch Magnus sehen. Doch nachdem sie ein paar Minuten lang von einem Bein aufs andere getreten waren,verabschiedeten sich die Männer wieder. Was hätten sie Wanda auch erzählen sollen, wie sie aufmuntern? Sie war eine Fremde, die eher zufällig krank in ihrem Haus lag. Bisher hatten sie noch keine Gelegenheit gehabt, sich richtig kennenzulernen. Noch lagen Wandas mitgebrachte Geschenke in ihren Koffern, lediglich die Fotos und Briefe, die ihre Mutter für Johanna mitgegeben hatte, hatte Wanda

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