Die Amerikanerin
Katharina von Oy war die Zauberin, gewandet in weite Seidenstoffe in Regenbogenfarben. Als sie hörte, dass Marie ebenfalls mit Glas arbeitete, gab sie bereitwillig Auskunft über ihre verschiedenen Techniken. Einige davon, beispielsweise das Kombinieren von Glas mit Muscheln oder Perlen, waren neu für Marie. Der Gedanke, dass sie selbst noch nie gewagt hatte, Glas mit anderen Materialien zu verbinden, beschämte sie plötzlich fast. Glas und Silber, Glas und Stein, Glas und …, die Möglichkeiten waren endlos. Von einigen Stücken war sie derart fasziniert, dass sie sie immer wieder anschauen und berühren musste. Andere hingegen – zum Beispiel eine gläserne Schlange, die sich um einen aus Holz geschnitzten Apfel wand – empfand sie als weniger gelungen. Das derbe Holz und dazu das erotische Rot der Schlange stellten in Maries Augen einen unvereinbaren Kontrast dar.
Auch die Hinterglasmalereien der Künstlerin gefielen ihranfänglich nicht besonders: Die figürlichen Darstellungen waren ihr zu naiv, die Landschaften zu eindimensional. Natürlich ließ sie nichts dergleichen verlauten, sie wollte schließlich nicht unhöflich sein. Schön fand sie dagegen die Leuchtkraft der Bilder, wenn man sie gegen das Licht hielt. Dadurch bekamen selbst Katharinas einfache Malereien ein strahlendes Eigenleben.
Obwohl der Besuch in der »Zauberhütte« Marie tief beeindruckte, hatte sie nicht vor, etwas Ähnliches zu produzieren. Schließlich hatte sie Johanna versprochen, auch in Genua weiter an neuen Entwürfen für Christbaumschmuck zu arbeiten. Doch dann war alles anders gekommen.
Bei ihrer Ankunft in Genua hatte zwar tatsächlich im Raum neben ihrem Schlafzimmer ein kleiner Arbeitsplatz auf sie gewartet – ein Gasbrenner mit Flammrohr, ein Blasebalg, mit dem sie der Flamme Luft zugeben und so die Temperatur erhöhen konnte, ein paar Zangen und Feilen –, so weit war alles in bester Ordnung gewesen. Doch wer immer die Stücke zusammengetragen hatte, wusste offenbar nichts von Glasrohlingen für die Herstellung von Christbaumkugeln und hatte stattdessen Farbglasscheiben in allen Nuancen besorgt. Außerdem wartete eine ganze Armee von Farbtöpfchen am Rand des Bolges auf Marie. Halb amüsiert und halb entsetzt hatte Marie ihren »Schatz« betrachtet. Was um alles in der Welt sollte sie damit anfangen?
Während der ersten paar Tage in Genua war sie nicht dazu gekommen, sich weiter mit dem Problem zu beschäftigen – sie und Franco waren ständig unterwegs, er hatte ihr jeden Winkel von Genua zeigen wollen, so stolz war er auf seine prachtvolle Stadt.
Doch nach Ablauf der ersten Woche verschwand Franco im Anschluss an das Frühstück regelmäßig mit seinem Vater in einem Büro, das sich im vorderen Teil des Palazzos befand und mit schwarzem Ebenholz getäfelt war. Marie war deshalb froh,ihre Arbeit zu haben, so dass sie nicht längere Zeit mit der Contessa verbringen musste.
Von der ersten Minute an hatte sie sich in ihrer neuen Werkstatt wohl gefühlt. Wie ihr Schlafzimmer lag der Raum ebenerdig, eine Front war verglast, und man konnte zwei Flügeltüren aufmachen, die direkt in den Garten führten. Im rechten Winkel daran anschließend befand sich ein gläserner Anbau, eine sogenannte Orangerie, wie Franco ihr erklärte, in der selbst während der Wintermonate Zitronen-, Feigen- und Orangenbäume Früchte trugen.
Von diesem Ausblick inspiriert, hatte Marie probehalber eine gelbliche Glasplatte mit grünen Ranken und orangefarbenen Früchten bemalt, doch am Ende war sie mit dem Ergebnis unzufrieden gewesen. Dilettantisch! Naiv! Als Nächstes hatte sie versucht, eine Scheibe in schmale Streifen zu brechen. Vielleicht gelang es ihr, eigene Rohlinge herzustellen? Doch auch das hatte nicht funktioniert.
Es war Franco, der ihr letztendlich auf die Sprünge half.
»Du brauchst dich nicht mit diesem unnützen Tand abzugeben, wir werfen alles weg! Ich werde für dich richtige Glasrohlinge in Murano bestellen«, hatte er gesagt, als sie eines Abends nach dem Essen noch einmal ins Nebenzimmer gegangen war und die Glasscherben fein säuberlich nach Farben in Blechdosen sortiert hatte. Die Arme von hinten um ihren Bauch gelegt, hatte er sich an sie geschmiegt.
»Du behandelst jedes Stückchen Glas, als ob es ein wertvoller Edelstein wäre.«
Kurz darauf waren sie schlafen gegangen, doch Francos Bemerkung hatte wie ein Büschel Brennnesseln an Maries Unterbewusstsein gekratzt, so dass sie Francos Streicheln nur
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