Die Amerikanerin
sie erneut ein schlechtes Gewissen.
Wenn sie es schon nicht fertigbrachte, Johanna ein paar brauchbare Ideen zu liefern, sollte sie ihr wenigstens schreiben. Ihr und Wanda. Und Magnus vielleicht auch.
8
… bin ich schließlich in Genua gelandet. Liebe Wanda, Du glaubst nicht, was für ein Schock diese Stadt für mich gewesen ist! Da hatte ich ein romantisches Fischerdorf am Meer im Kopf – und dann führt Franco mich durch Straßen, in denen es fast so lebhaft zugeht wie in New York! Allein der Hafen – Franco sagt, es sei der größte Italiens – ist riesengroß und liegt in einer Art Felsenbecken. Die Stadt schmiegt sich hoch darüber an die Felsen. Der Palazzo dei Conte liegt auf halber Höhe, und wenn ich morgens im Bett aufrecht sitze, sehe ich das Meer, kannst Du Dir das vorstellen?! Beim ersten Spaziergang durch Genua bin ich mir vorgekommen wie in einem Museum, das auf die Kunst der Renaissance spezialisiert ist – überall Paläste aus Marmor, dazu Kirchen, Brunnen und Klöster! Wenn Du mich fragst, muss die Bildhauerkunst hier erfunden worden sein. Mich wundert es nicht, wenn die Italiener diese Stadt »La Superba«, also »die Stolze« nennen. Franco sagt, die Kunst und das Leben gingen in Genua Hand in Hand – da bin ich doch genau am richtigen Ort gelandet, oder? Natürlich vermisse ich Euch alle furchtbar, andererseits denke ich mir, es gibt schlechtere Gegenden, in die einen die Liebe verschlagen kann …
Der Abschied vom Monte Verità fiel mir schwer, doch inzwischen bin ich froh, dass wieder ein bisschen mehr Ruhe und Regelmäßigkeit in mein Leben eingekehrt ist. Gestern allerdings, als wir über die Piazza Banchi spazierten und ich ganz trunken war von all der Pracht, wünschte ich mir, Pandora oder Sherlain wären hier – vor allem Pandora sehe ich wie einen Renaissance-Engel durch die Gassen tanzen. Ach, ich vermisse sie! Sie und die anderen Frauen auf dem Monte. Ihr Lachen und ihre Fröhlichkeit. Genau, wie ich Dein Lachen vermisse.
Wie erwartet, waren Francos Eltern nicht gerade sehr erfreut darüber, eine Wildfremde als Schwiegertochter vorgestellt zu bekommen. Vor allem Patrizia passt es nicht, dass Franco sich eigenmächtig eine Frau gesucht hat – sie kommt mir vor wie eine, die gern das Sagen hat. Aber ich versuche trotzdem, mein eigenes Leben zu führen.
Wie versprochen hat Franco mir einen Arbeitsplatz einrichten lassen, an dem ich mit größtem Vergnügen arbeite – und sehr zum Missfallen meiner Schwiegermama. Doch mit der Zeit werden wir uns schon aneinander gewöhnen, ehrlich gesagt, mache ich mir deswegen keine allzu großen Gedanken. Obwohl wir unter einem Dach leben, haben wir nicht allzu viel miteinander zu tun: Ich sitze tagsüber in meiner Werkstatt (mit Blick auf Orangenbäume, stell dir vor!), und Franco und sein Vater sind in ihrem verstaubten Büro, wo sie täglich Dutzende von Besuchern empfangen. Dass so viele Leute mit Wein zu tun haben, hätte ich nicht gedacht. Du müsstest einmal sehen, wie respektvoll sie alle dem alten Conte und Franco gegenübertreten! So ein Adelstitel scheint die Leute wirklich zu beeindrucken.
Zurzeit bin ich dabei, völlig neue Wege in der Glaskunst zu gehen. Wie das aussieht, davon ein anderes Mal mehr. Leider hat das zur Folge, dass ich mit meinen Entwürfen für den neuen Steinmann-Maienbaum-Katalog noch nicht weit gekommen bin. Doch ich habe fest vor, in den nächsten Tagen daran zu arbeiten.
Ich hoffe, Du hattest eine angenehme Reise und hast Dich in Lauscha inzwischen gut eingelebt. Wie ich Dich kenne, hast Du wahrscheinlich schon das ganze Dorf mit Deinem Elan auf Trab gebracht. Ich bin ja so gespannt, von Dir zu hören, ob meine Beschreibungen der Betrachtung durch Deine Augen standhalten! Ich weiß, was dieser Besuch für Dich bedeutet, und ich bin in Gedanken bei Dir, wenn Du das erste Mal die Hauptstraße erklimmst, um das Haus Deines Vaters aufzusuchen. Oder hast Du das schon längst getan?
Liebe Wanda, was immer Du auch tust, ich wünsche Dir, dass auch Du neue Wege dabei gehst.
Deine Marie
PS: Wenn Du einmal nach Sonneberg fährst, dann sei bitte so lieb und besuche Herrn Sawatzky und grüße ihn herzlich von mir. Sag ihm, ich hätte es endlich geschafft, meine Fesseln zu sprengen – er weiß dann schon, was gemeint ist.
Neue Wege gehen …
»Von wegen«, schluchzte Wanda in ihr Kopfkissen und wurde gleich darauf von einem neuen Hustenanfall geschüttelt. Feine Spucketröpfchen landeten auf dem
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