Die Amerikanerin
als sie mit Maries Kugeln in der Tasche einen Verleger suchte.«
Eva trat von einem Bein aufs andere. »So ein Quatsch! Wenn ich mich richtig erinnere, war damals Hochsommer. Wenn Ruth also etwas gefühlt hat, dann einen Sonnenbrand! Und im Gegensatz zu ihr haben wir keinen Huckelkorb mit Ware auf dem Rücken. Wie die Bettler kommen wir daher! Dass eines klar ist: Ich bringe dich zwar zu den Verlagshäusern, aber hinein gehe ich nicht. Lieber stehe ich mir die Beine in den Leib und friere mich zu Tode, als dass ich vor diesen Halsabschneidern zu Kreuze krieche.«
Was für eine passende Einstellung! Seufzend ging Wanda weiter. Allmählich zweifelte sie daran, ob es eine gute Idee gewesen war, auf Evas Begleitung zu drängen.
»Du kennst doch jeden Verleger in Sonneberg, damit wärst du mir eine große Hilfe«, hatte sie schmeichelnd gesagt, und als Eva nicht sofort darauf angesprungen war, erwähnte sie dasselbe Wilhelm gegenüber und fügte hinzu: »Wenn wir zu zweit erscheinen, macht das doch einen viel gewichtigeren Eindruck, als wenn ich junges Ding allein auftauche!«
Als Wilhelm Eva schlichtweg befahl, Wanda zu begleiten, gratulierte diese sich zu ihrem brillanten Schachzug: Zum einen hatte Wilhelm gemerkt, dass ihr sein Urteil sehr wichtig war, und zum andern bekam sie so Eva auf ihre Seite … Eine Zeitlang liefen sie schweigend weiter, jede in Gedanken versunken.
Sowohl Thomas Heimer als auch Wilhelm waren dafür gewesen, dass Wanda die Verleger abklapperte, um herauszufinden, welche Art von Glaswaren derzeit besonders gefragt waren – dass diese Idee ursprünglich auf Maries Mist gewachsen war, hatte Wanda nicht erwähnt.
Marie … Unwillkürlich schweiften Wandas Gedanken ab. Ob ihr wohl die Babysachen gefielen, die Johanna und sie gleich am Tag nach dem Eintreffen von Maries Brief in ein Paket gepackt und nach Genua geschickt hatten? Sie waren für ihre Einkäufe extra nach Sonneberg gefahren, und das, obwohl Johanna wieder einmal ein großer Auftrag im Nacken gesessen hatte! Nur das Beste und Edelste hatten sie ausgewählt: ein Kleidungsstück aus feinster Plauener Spitze, dazu einen silbernen Beißring und eine Babyrassel aus schneeweißem Horn. Eigentlich hatte Wanda erwartet, dass Marie sofort nach Erhalt der Geschenke zu Papier und Feder greifen würde.
Statt nun länger über Maries ausbleibende Reaktion zu grübeln, zwang Wanda ihre Gedanken zurück zu ihrem Geschäftsplan, der sie heute nach Sonneberg führte. Eins-nachdem-andern, Punkt-für-Punkt, wiederholte sie stumm im Rhythmus ihrer Schritte.
Zum Glück durfte sie inzwischen noch einen weiteren Punkt abhaken: das Gespräch mit Michel.
Es hatte sie einige Überwindung gekostet, den Onkel in seiner schlecht gelüfteten Kammer aufzusuchen – das Mitleid, das sie wegen seiner Behinderung empfand, machte sie stets so gehemmt, dass sie kaum ein Wort herausbrachte. Zuerst hatte sie deshalb ziemlich herumgedruckst, hatte ihn nach seinem gesundheitlichen Befinden gefragt und sich dann sein ellenlanges Lamentieren anhören müssen, bis sie ihn schließlich unterbrach.
»Zugegeben, ein Bein zu verlieren ist ein schlimmer Schicksalsschlag. Und die Schmerzen, die du beschreibst, müssen wirklich furchtbar sein«, sagte sie zu ihm. »Aber trotzdem wirst du dich in der nächsten Zeit zusammenreißen müssen. Ich brauche nämlich deine Hilfe!« Sie fühlte sich keineswegs so resolut, wie sie sich anhörte. Was soll dieser armselige Mann mir schon helfen können!, dachte sie, während sie Michel mit festem Blick fixierte. Dass er daraufhin vor lauter Schreck plötzlich einen menschlichen Drang verspürte und nach Eva und einem Nachttopf rief, erleichterte die Situation keineswegs – hastig und mit eingezogenem Genick verließ Wanda sein Zimmer. Wie peinlich! Aus lauter Verlegenheit ging sie erst einmal in die Küche, wo Eva sie mit sauertöpfischer Miene erwartete.
Wanda kämpfte noch mit sich, ob sie überhaupt in Michels Zimmer zurückkehren sollte, als ein Schleifen und Klopfen auf dem Gang hörbar wurde. Als Michel kurze Zeit später auf zwei Krücken im Rahmen der Küchentür erschien, wollten weder Eva noch sie ihren Augen trauen. Eva hatte schon eine – höchstwahrscheinlich spitze – Bemerkung auf den Lippen, als Wanda sie mit einem beschwörenden Blick gerade noch rechtzeitig zum Schweigen brachte.
Mit zittrigen Armen setzte Michel sich ungelenk Wanda gegenüber an den Tisch. Und mit ebenso zittriger Stimmefragte er, wie er als
Weitere Kostenlose Bücher