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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Dann sagte er: »Wie viel sinnlicher sind da die französischen Künstler! Dieses Gespür für Emotionen! Vielleicht ist Ihnen der Name Emile Gallé ein Begriff?«
    Wanda nickte. »Meine Mutter ist eine leidenschaftlicheBewunderin der französischen Glaskünstler. Als New Yorkerin schätzt sie natürlich auch Tiffany«, fügte sie noch hinzu, um ein weiteres Zeugnis ihres Kunstverständnisses abzulegen. »Und was halten Sie von venezianischer Glaskunst?«, fragte sie dann so beiläufig wie möglich.
    Brauninger verzog den Mund. »Ich weiß, die ganze Welt schielt nach Murano, aber ehrlich gesagt ist mir das Inselglas zu … unehrlich im Ausdruck.« Er machte eine überhebliche Handbewegung.
    Wanda nickte sorgenvoll. »Die Retro-Stile, ich weiß.« Auch sie winkte ab, als habe sie sich selbst ebenfalls schon ausgiebig mit Muraner Glas beschäftigt und wäre zum selben Schluss wie Brauninger gekommen.
    Der Verleger räusperte sich. »Ich möchte ja nicht unhöflich erscheinen, gnädige Frau … Aber ich habe leider in wenigen Minuten einen Termin.« Er blinzelte verlegen. »Und so erquicklich ich unser Gespräch auch fand, ist mir doch nicht klar, wie ich Ihnen behilflich sein kann.«
    Umständlich raffte Wanda ihren Rock zusammen. »Sie haben mir schon mehr geholfen, als Sie je ahnen werden, mein lieber Herr Brauninger«, sagte sie im Aufstehen. Und mit einem weiteren Augenaufschlag fuhr sie fort: »Dass es noch Kunsthändler wie Sie gibt, bestärkt mich nur in unserem Bestreben, Lauschaer Glas wieder zu einem Synonym für allerhöchste Glaskunst zu machen. Ja, man kann fast sagen, Sie haben mir den Glauben an die Menschheit wiedergegeben!«
    Brauningers Stirnrunzeln sagte ihr, dass sie damit doch ein bisschen zu dick aufgetragen hatte, deshalb bemühte sie sich im nächsten Moment um eine geschäftsmäßige Miene. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und holte noch einmal Luft.
    »Gesetzt den Fall, mir gelangt in den nächsten Wochen oder Monaten ein Stück Glaskunst in die Hände, von demich glaube, dass es Ihren Ansprüchen eventuell genügen könnte – dürfte ich es Ihnen dann zeigen?«
    Karl-Heinz Brauninger strahlte. »Jederzeit, gnädige Frau, jederzeit! Ich freue mich schon auf unser erstes Geschäft.«

    Als Wanda wieder auf die Straße trat, hatte es bereits zu dämmern begonnen. Der Schnee glitzerte – ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Nacht wieder eisig kalt werden würde.
    »Na endlich! Ich hab schon geglaubt, du würdest da drin übernachten!« Evas Schatten löste sich aus dem Türrahmen des Nachbarhauses. »Wenn wir uns nicht beeilen, ist der letzte Zug nach Lauscha weg!«
    »Tut mir leid. Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist«, antwortete Wanda schuldbewusst, während sie in Richtung Bahnhof hasteten.
    Eva schaute zu ihr hinüber. »Du hast so einen Blick … Hat es sich etwa gelohnt, dass mein Hintern erfroren ist? Sag, haben wir einen Auftrag bekommen?« Plötzlich hatten Evas Augen einen jugendlichen Glanz.
    Wanda hakte sich bei ihr unter, was sie sich dieses Mal widerstandslos gefallen ließ. »Das nicht, aber dafür habe ich etwas so Wichtiges erfahren, dass es unsere ganze Zukunft verändern wird!«
    Das Glänzen in Evas Augen erlosch. Dafür strahlte Wanda wie ein hell erleuchteter Weihnachtsbaum. Sie hielt an und wandte sich Eva zu, am ganzen Leib zitternd – ob vor Kälte oder vor Aufregung, hätte sie nicht sagen können.
    »Heutzutage reicht es nicht mehr, einfach nur schöne Gläser herzustellen. Das machen schon viel zu viele. Um Erfolg zu haben, muss man etwas ganz anderes tun!«
    »Und was sollte das bitte schön sein?« Evas blau gefrorenes Gesicht war voller Skepsis.
    Genießerisch schloss Wanda die Augen und ließ sich ihrenächsten Worte wie Zuckerwatte auf der Zunge zergehen.
    »Die wahre Kunst liegt darin, Geschichten zu verkaufen!«

21
    Die ersten Tage waren die schlimmsten. Das Loch, das plötzlich in Maries Leben klaffte, war so groß, dass sie nicht wusste, wie sie es je wieder schließen sollte.
    Franco war in Amerika und sie eine Gefangene – eigentlich war alles ganz einfach. Doch ihr Verstand sträubte sich auch Wochen später immer noch, es zu verstehen. Die meiste Zeit des Tages war ihr Kopf deshalb leer. Nur dann war alles erträglich. Die Stille. Das Alleinsein. Das Eingesperrtsein. Der Dolch im Herzen.
    Marie stand an der verriegelten Glastür, ihre Stirn an die Scheibe gepresst. Ein leichter Wind zauste die blühenden

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