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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Mandelbäume, rosafarbener Schnee rieselte durch die Luft und legte sich wie ein zarter Schleier über den Garten. Allein das und der Stand der Sonne verrieten ihr, dass das Frühjahr gekommen war. In Patrizias Garten flossen die Jahreszeiten ineinander wie Tuscheflecken auf nassem Papier.
    In Lauscha hatte der Winter die Menschen sicher noch fest im Griff – der Gedanke war da, bevor Marie ihn hätte verscheuchen können. Vielleicht hörten sie hin und wieder morgens schon den Frühlingsvogel, der die Menschen zum Durchhalten anhielt, ansonsten hieß es garantiert wie jeden Tag: Schnee schippen, Asche auf die vereisten Wege streuen und abwarten.
    Eine heiße Träne tropfte vor Marie auf den Boden.
    Schnee. Würde sie jemals wieder das vertraute Knarzen von verharschtem Schnee unter ihren Füßen spüren?
    Sie wischte sich so heftig übers Gesicht, dass es weh tat. Nicht weinen. Nicht das Kind erschrecken. Durchhalten, eskonnte nicht mehr lange dauern. Sie rechnete jeden Tag mit Francos Rückkehr. Und dann …
    Keine Minute länger würde sie dann hierbleiben!
    Ihr Entschluss stand fest, er war ihre Nabelschnur zu einem nächsten Leben: Sie würde Franco verlassen und ihr Kind mitnehmen.
    Keine Diskussionen mehr, kein Warum, auf das es keine Antwort gab. Auch keine Gefühle mehr für Franco. Was noch übrig war, hatte sie in eine Ecke ihres Geistes verbannt, die sie sich aufzusuchen verbot. Hieß es nicht, Zeit heilt alle Wunden?
    Es war für sie mittlerweile ohne Bedeutung, ob er wusste, dass man sie einsperrte wie eine Schwerverbrecherin, oder ob er ahnungslos war. Tausend Mal hatte sie seinen Abschiedsbrief gelesen, jedes Wort gedeutet. Ich flehe Dich an: Bitte bleib  – so konnte doch kein Gefängniswärter schreiben, oder? Ich werde dafür sorgen, dass es Dir an nichts fehlt  – so schon. Aus Patrizia war nichts herauszuholen. »Franco ist in Amerika, und du bist hier«, lautete ihre gleichbleibende Antwort auf Maries Fragen. Irgendwann hatte sich Marie damit abgefunden. Wie sie sich auch damit abgefunden hatte, dass es keine Möglichkeit gab zu fliehen. Ihr Gefängnis brauchte keine Gitter, versperrte Türen und Fenster und Augen und Ohren überall reichten.
    »Bald ist es so weit, bald, bald …«, betete sie deshalb immer wieder vor sich hin. Wenn Patrizia ihr wenigstens sagen würde, mit welchem Schiff Franco kommen sollte …
    Ihre Hand wanderte hinab zu ihrem geschwollenen Leib. Ohne das Kind darin wäre sie längst verrückt geworden. Es war der Grund dafür, dass Marie die Tage aushielt, die wie Schnecken durch sonnentrockenes Gras krochen und nichts als eine trübe Schleimspur hinterließen.
    »Bald ist es so weit, bald, bald …« Marie verließ ihren Platz an der Glastür und setzte sich an den zierlichenSekretär, auf dem nicht viel mehr als ein Bogen Papier Platz hatte.
    Sie hatte angefangen, in ein kleines Büchlein zu schreiben. Auch das half. Irgendwann einmal, wenn ihr Kind alt genug war, um alles zu verstehen, wollte sie ihm das Tagebuch zu lesen geben. Anfänglich hatte sie sich mit dem Schreiben gequält. Es war ihr schwergefallen, sich an damals zu erinnern, an das junge Mädchen, das anfing, in der Dunkelheit der Nacht Glas zu blasen. Aber damals hatte ihre Geschichte nun einmal begonnen. Also musste Marie auch ihr Tagebuch mit jener Zeit beginnen.
    Es tat weh, niemanden zu haben, mit dem sie reden konnte, mit dem sie sich an Vergangenes erinnern konnte. An die Zeit, in der sie mit ihren Schwestern zusammen die Glasbläserei aufgebaut hatte. Und an ihre große Reise nach New York. Das Wiedersehen mit Ruth, die so elegant und anders war als sie und die sie dennoch so unendlich liebte. Dann die großen Gefühle, als sie Franco kennenlernte! Das Erinnern ging immer mit dem schmerzlichen Bewusstsein ihrer jetzigen Einsamkeit einher, aber Marie lernte aus diesem Schmerz, dass sie die Fähigkeit, sich selbst zu spüren, auch in ihrem Gefängnis nicht verloren hatte.
    Als alle alten Geschichten in dem kleinen Buch festgehalten waren, begnügte sich Marie damit, täglich ein paar Zeilen an ihr ungeborenes Kind zu schreiben. Sie schrieb nicht auf, wie es ihr ging und was sie fühlte. Ihr Kind sollte nicht erfahren, wie unglücklich seine Mutter während der Schwangerschaft gewesen war. Stattdessen schrieb sie von dem neuen Anfang, den sie beide machen würden, sobald Franco zurück war und sie aus ihrem Gefängnis entlassen musste.
    Sie und ihr Kind. Ein neuer Anfang, wie ein weißes Blatt

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