Die Amerikanerin
bis spät römische Weisen sang und dabei Magnus schmachtende Blicke zuwarf, die dieser nicht bemerkte.
Auch Wanda selbst verspürte bald diese Unruhe – siemanifestierte sich unter anderem in dem Bedürfnis, Richard bei jeder Gelegenheit abzuküssen. Wie sehr sie diesen Mann auch körperlich begehrte, erschreckte sie nicht wenig, und sie war Richard dafür dankbar, dass er einen kühlen Kopf behielt, wenn ihre Umarmungen zu hitzig zu werden drohten.
Auch in geschäftlicher Hinsicht schien Lauscha aus dem Winterschlaf zu erwachen: Mehr Fuhrwerke als in den Monaten zuvor rutschten nun über die letzten Schneereste, und unter die bekannten Gesichter mischten sich verstärkt auch fremde. Richards Galerist und Förderer Gotthilf Täuber kam auf einen Besuch vorbei und kaufte ihm alles ab, was er fertiggestellt hatte. Danach war Richard noch besessener von seiner Arbeit als zuvor: Wann immer Wanda bei ihm vorbeischaute, hatte er entweder ein Stück in Arbeit oder war in den Katalog vertieft, den Täuber dagelassen hatte.
Auch im Hause Steinmann-Maienbaum herrschte Aufbruchsstimmung: Johanna verschickte goldfarben bedruckte Briefe an ihre Kunden, in denen sie zu einer Frühjahrs-Verkaufsausstellung einlud, woraufhin Wanda wieder einmal die Geschäftstüchtigkeit der Tante bewunderte.
Doch in Wandas Augen war das alles nichts gegen das Erwachen, das im Haushalt ihres Vaters stattfand: die Geschäftsbeziehung, die sich zwischen Karl-Heinz Brauninger und der Werkstatt Heimer entwickelte. Eine komplette Glasserie hatte der Kunsthändler ihnen schon abgekauft und sein Interesse an weiteren Geschäften kundgetan.
Kurioserweise war der Samen dieser erfolgversprechenden Entwicklung in der Faschingszeit gesät worden, in den Tagen, als Wanda und Richard kein Fest, keinen Tanz und keinen Mummenschanz ausgelassen hatten. Die Kostüme, die Masken und die Ausgelassenheit der Menschen – noch nie hatte Wanda Derartiges erlebt und jede Minute genossen. Und dann, am Aschermittwoch, war alles vorbeigewesen. Wie schön müsste es sein, wenn man einen Teil der Fröhlichkeit für den Rest des Jahres konservieren könnte, hatte Wanda mit brummendem Kopf gedacht. Was lag in Lauscha näher, als dafür Glas zu nehmen? Die Idee zu einer Glasserie mit dem wohlklingenden Namen »Karnevale« war geboren worden. Wie nicht anders zu erwarten, war Wanda mit ihren Vorstellungen bei ihrem Vater zuerst auf große Skepsis gestoßen: Zu zeitaufwendig sei die Art der Verzierung, die Wanda vorschwebte, lautete sein Argument dagegen. Doch am Ende hatte er sich darauf eingelassen, und es waren verschieden große Schalen und Trinkgefäße entstanden. Dazu gab es einen Tafelaufsatz und – dies war Wandas Idee gewesen – gläserne Serviettenringe, alle aus farblosen Rohlingen gearbeitet und mit Abertausenden von bunten Glassprenkeln verziert, die wie Konfetti aussahen. Am Ende gab selbst Thomas zu, dass sich die Mühe gelohnt hatte: Jedes Teil strahlte Lebensfreude aus, weckte Visionen von eleganten Festtafeln mit fröhlichem Gläserklirren und heiteren Trinksprüchen. Dieser Ansicht war wohl auch Karl-Heinz Brauninger gewesen, der von sich aus einen höheren Preis bot als den, den Wanda im Kopf gehabt hatte. Nun, da der Anfang gemacht war, hieß es, den Faden weiterzuspinnen!
»Bitte, Tante Johanna, lass uns das Telefonat nach New York noch um eine Woche verschieben! Von mir aus können wir gleich am nächsten Montag nach Sonneberg aufs Postamt gehen, nur nicht heute!« Wandas Flehen hatte fast etwas Komisches an sich. Mit bangem Blick fixierte sie Johanna quer über den Küchentisch.
Heute war ein besonderer Tag.
Die anderen waren längst in der Werkstatt, und auch Wanda wäre eigentlich schon auf dem Weg in die Heimer’- sche Glasbläserei gewesen, doch sie hatte Johanna gebeten, noch für einen Moment zu bleiben.
Johanna schüttelte den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, wie du dir das vorstellst! Bis zu deiner geplanten Abreise sind es nur noch vier Wochen. Du weißt, dass du trotz … trotz allem stets ein gerngesehener Gast bei uns bist. Aber wenn du wirklich vorhast, länger in Lauscha zu bleiben, musst du doch zumindest deine Eltern um Erlaubnis fragen! Oder haben die deiner Ansicht nach kein Wörtchen mehr mitzureden?« Johanna runzelte ärgerlich die Stirn.
»Dass du mich mit deinem Verhalten in eine unmögliche Lage bringst, kommt noch dazu.« Sie seufzte. »Bei jedem Telefonat und in jedem Brief fordert mich deine Mutter auf, ich
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