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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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erklommen, als sie plötzlich erschrocken aufschrie: Wasser quoll in ihre Schuhe und durchnässte ihre Strümpfe. Zu spät hob sie den Rocksaum an, der ebenfalls schon durch die Pfütze schleifte.
    »Na, junges Fräulein, nicht aufgepasst? So eine Schneeschmelze gibt’s in Amerika wahrscheinlich nicht.«
    Wanda drehte sich um und erkannte die Frau des Apothekers.
    »In Amerika gibt es so etwas schon, aber nicht in New York«, seufzte sie, während sie auf ihre ruinierten Schuhe schaute. »Ausgerechnet heute, wo Richard und mein Vater auf das Material warten, das ich bei Ihrem Mann bestellt habe! Da kann ich nicht nochmals zurückgehen, um trockene Schuhe anzuziehen. Die Sachen sind doch sicher inzwischen da?« Sie vermochte die Ungeduld nicht ganz aus ihrer Stimme zu verbannen – eigentlich hätten das Blattsilber und die chemische Lösung, deren Namen sie sich nicht merken konnte, schon letzte Woche ankommen sollen.
    »Der Bote hat Ihre Bestellung gestern gebracht«, bestätigte die Frau. »Ihre nassen Füße sollten Sie dennoch nicht zu leicht nehmen. Krank sind Sie Ihrem Vater nämlich keine Hilfe«, tadelte sie milde, während sie gemeinsam weitergingen.
    »Das lassen Sie ihn mal hören!« Wanda grinste. »Seiner Ansicht nach mache ich nämlich mehr Arbeit, als dass ich ihm eine Hilfe bin. Ich würde so viel Staub aufwirbeln wie eine durchgehende Herde Rindviecher, hat er erst gestern wieder zu mir gesagt«, gab sie freimütig zu. Sie hatte sich allerdings inzwischen angewöhnt, nicht jedes Wort von Thomas Heimer auf die Goldwaage zu legen.
    Die Frau des Apothekers schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Dieser dumme Kerl. Froh sollte er sein, dass er Sie hat! Froh sollte er sein!«
    Wanda lachte nur.

23

    In der Werkstatt war nur das Summen von Thomas’ Gasflamme zu hören, in deren Hitze er ein Stückchen einer Glasröhre erwärmte.
    »Noch ein bisschen mehr«, murmelte Richard neben Thomas, das Aventurin, das wie echtes Blattgold wirkte, griffbereit zur Hand. Im nächsten Moment rief er: »Halt! Jetzt reicht’s!«
    Thomas hielt ihm die Vase hin.
    Richard schmolz kleine, golden schimmernde Körnchen von Aventurin auf das erwärmte Glasröhrenstück, das Thomas nach seinen Anweisungen drehte und wendete.
    Nachdem Thomas ein Ende der Röhre zusammengeschmolzen hatte, setzte er das noch offene Ende an seine Lippen und blies wie in eine Flöte hinein.
    Gebannt schaute Wanda zu, wie sich die schlichte Glasröhre in einen dickbauchigen Hohlkörper verwandelte. Als sie schon glaubte, das Glas würde zerspringen, hörte Thomas auf zu blasen und drehte es mit einem Greifwerkzeug um. Dann erwärmte er das geschlossene Ende und schmolz einen gläsernen Fuß an. Sobald dieser festsaß, drehte er das Glasteil erneut um, hielt die Öffnung ins Feuer und nahm gleichzeitig eine Zange zur Hand.
    Mit gekonnten Kniffen arbeitete er Wellen in den Rand, und langsam verwandelte sich das Teil in eine Vase.
    Eva, die auf dem Weg in die Küche eigentlich nur einen kurzen Blick in die Werkstatt hatte werfen wollen, trippelte auf Zehenspitzen an den Bolg. Als sie sah, womit die Männer beschäftigt waren, umklammerte sie Wandas Ärmel, als hätte sie noch nie eine Glasbläserarbeit miterlebt.
    »Jetzt gilt’s!«
    Nachdem Thomas die Vase erneut in die Flamme gehalten hatte, formte er mit Hilfe der Zange die Wellen nochweiter aus. Das Aventurin begann in hauchdünnen Rissen aufzubrechen.
    Lieber Gott, mach, dass alles gutgeht!, betete Wanda stumm und mit angehaltenem Atem, während das Aventurin an manchen Stellen heller wurde und an anderen Stellen fast wie echtes Gold aussah.
    Mit schweißbedeckter Stirn legte Thomas die Zange aus der Hand und begann, die Vase zum Abkühlen ein wenig hin und her zu schwenken. Zum ersten Mal, seit er sich an den Bolg gesetzt hatte, schaute er auf. »Das hätten wir geschafft!«
    Erst in dem Moment gestattete sich Wanda das Ausatmen.
    »Gott sei Dank!«, rief Eva. »Dann ist das teure Zeug wenigstens nicht umsonst gekauft!« Mit einem Schnaufer hob sie das Tablett mit Wilhelms Essensresten, das sie beim Eintreten neben der Tür abgestellt hatte, wieder auf und verließ die Werkstatt.
    »Na, was haltet ihr davon? Für einen ersten Versuch nicht schlecht, oder?« Der Stolz in Thomas’ Stimme war nicht zu überhören.
    Wanda hatte einen Knoten im Hals, den sie erst hinunterschlucken musste.
    »Sie ist wunderschön geworden!«, sagte sie mit belegter Stimme. »Dieses Glitzern … als ob Tausende von

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