Die Amerikanerin
solle mich mehr um dich kümmern, statt zuzulassen, dass du jeden Tag zu deinem Vater rennst.«
»Aber ich habe ihr doch geschrieben, warum ich …«
Johanna unterbrach Wanda mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Und dann noch dein Verehrer … Dass du dich täglich mit Richard triffst, dürfte ich eigentlich gar nicht dulden. Auch wenn du mir hoch und heilig geschworen hast, dass zwischen euch alles geziemend vonstattengeht …«
»Ach, Tante Johanna!« Wanda überfiel ein Schwall schlechtes Gewissen. »Ich weiß, dass ich es euch nicht gerade einfach mache. Aber Richard ist so ein Ehrenmann, dass du dir wirklich keine Sorgen um meine … meine Unschuld zu machen brauchst. Und was die Sache mit meinem Vater angeht …« Hilflos warf sie die Hände in die Luft. »Bitte versuche doch, auch mich zu verstehen! Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles zu tun! Ich weiß, Mutter will nur mein Bestes, aber was kann ich denn dafür, dass ich für ein Leben zwischen Cocktailempfängen und Tennisspielen offenbar nicht geschaffen bin? Es macht mir so viel Spaß zu sehen, dass sich Dinge wirklich zum Besseren ändern, wenn man etwas dafür tut! Du müsstest das doch gut verstehen. Du undMutter und Marie – ihr drei habt euch auch nicht beirren lassen. Ihr seid doch auch euren Weg gegangen!«
Noch während sie sprach, wusste Wanda, dass es ein taktischer Fehler gewesen war, Marie zu erwähnen. Tatsächlich verfinsterte sich Johannas Miene sofort.
»Komm mir nicht mit Marie! Mit der hab ich auch ein Hühnchen zu rupfen, schwanger hin oder her!«, schnaubte sie. »Ich erwarte weiß Gott keine ellenlangen Briefe, aber hin und wieder eine kurze Nachricht, dass es ihr gutgeht – ist das zu viel verlangt?«
Wanda schwieg. Auch sie hatte keine Erklärung für Maries Verhalten. Auf keinen ihrer drei letzten Briefe hatte Marie geantwortet, nicht einmal auf den, in dem sie ihr über ihren Erfolg mit der Glasserie »Karnevale« berichtet hatte, und das musste Marie doch interessieren!
»Vielleicht geht es ihr nicht gut …«, murmelte sie und rutschte ungeduldig auf der Bank hin und her. Eigentlich hatte sie keine Zeit, jetzt auch noch über Marie zu sprechen.
»Sag doch so was nicht!«, rief Johanna. Ihre Augen waren auf einmal ganz glasig. »Manchmal kann ich nachts nicht schlafen, solche Sorgen mache ich mir inzwischen! Dann sehe ich sie in einem italienischen Krankenhaus liegen, das Kind verloren …« Sie hob die Schultern. Ihr Ärger war längst der Verzweiflung gewichen. »Womöglich ist sie furchtbar unglücklich in diesem Palazzo.«
Wanda langte über den Tisch und ergriff Johannas Hand. »Das glaube ich nicht, dann hätte sie sich längst gemeldet! Marie weiß doch, was sie will. Wahrscheinlich hat die Schwangerschaft eine solche Schaffenskraft in ihr ausgelöst, dass sie von früh bis spät nur an ihre Arbeit denkt und abends zu müde ist, um zu schreiben.«
Johannas Blick blieb skeptisch.
Wanda sprang auf und umarmte sie überschwänglich. »Jetzt mach dir keine Sorgen, sicher geht es Marie blendend!Und am Montag rufe ich Mutter an, ich verspreche es hoch und heilig.«
Noch bevor Johanna einen weiteren Einwand machen konnte, war Wanda im Hausflur, wo sie sich Mantel und Schal überwarf.
Kurze Zeit später befand sie sich auf dem Weg ins Oberland.
Ihr Herz klopfte heftig – ob das von ihrem schnellen Schritt kam oder von der Aufregung, die in ihr aufwallte wie überkochende Milch, wusste sie nicht. Heute war ein besonderer Tag – das hatte Johanna natürlich nicht wissen können. Heute würden Thomas und Richard sich zum ersten Mal zusammen an die Arbeit machen. Es hatte sie viel Überredungskunst gekostet, bis es so weit gekommen war. Anfangs hatte Thomas sich schlichtweg geweigert, über eine Zusammenarbeit mit einem anderen Glasbläser auch nur nachzudenken. »So etwas ist zum Scheitern verurteilt«, hatte er geunkt und angeführt: »Schau dir doch an, was aus dem Gewerbeverein geworden ist! Zerstritten haben sie sich, weil jeder eigene Ideen und Ziele hatte und man die nicht unter einen Hut bringen konnte!« Erst als Richard selbst bei ihm vorgesprochen und das Argument gebracht hatte, dass vier Hände sich an viel aufwendigere Arbeiten wagen konnten als zwei, hatte Thomas schließlich einem Versuch zugestimmt. Und Richard hatte ein sehr aufwendiges Projekt ausgesucht!
Hoffentlich geht alles gut, dachte Wanda bang. Sie hatte den Berg noch nicht zur Hälfte
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