Die Amerikanerin
rüttelte ein wenig an ihrem Arm. »Jede deiner Kolleginnen hätte die Bestellung Mister Schraft gezeigt, du aber hast eigenmächtig gehandelt. Wie das nun einmal deine Art ist. Und genau das ist dir zum Verhängnis geworden. Nicht zum ersten Mal, wie ich anfügen möchte. Ich erinnere dich nur an ›Arts and Artists‹ und an …«
»Schon gut, schon gut. Du brauchst mir nicht jedes meiner Missgeschicke aufzuzählen«, unterbrach sie ihn eisig. »Ich hasse es, wenn du dich anhörst wie mein Vater.«
Für Harold kam ihre Bemerkung einem Kompliment nahe. Es gab nur wenige Männer, die er so verehrte wie Steven Miles. Einmal so reich zu werden wie dieser und so viel Einfluss zu haben war sein erklärtes Lebensziel.
Ohne sich um Wandas eingeschnappte Miene zu kümmern, sagte er: »Deine Eltern sind sicher nicht böse, wenn du die Idee mit dem Arbeiten endgültig aufgibst. Und wenn wirerst einmal verheiratet sind, verdiene ich genug für uns beide. Liebes – es gibt doch so viele andere Dinge, mit denen sich eine Frau beschäftigen kann! Vor allem, wenn sie so charmant und klug ist wie du.« Er nickte ihr aufmunternd zu.
Sie zog ihre Hand weg. »Dir wäre es wohl am liebsten, ich würde so wie meine Mutter das Nichtstun zur Kunst erheben! Aber da muss ich dich enttäuschen. Ich will etwas Sinnvolles mit meinem Leben anstellen!«, rief sie heftig.
Prompt drehten sich ein paar Köpfe zu ihnen um.
»Warum soll mir nicht gelingen, was Abertausenden von Näherinnen, Zimmermädchen oder Kinderfrauen alltäglich gelingt, nämlich einer Arbeit nachzugehen? Bin ich etwa dümmer als sie?«
»Das behauptet doch keiner. Aber warum weigerst du dich, den großen und entscheidenden Unterschied zwischen dir und diesen Frauen zu erkennen?«
»Und der wäre?«, fragte sie misstrauisch.
Harold zuckte beiläufig mit den Schultern. »Sie müssen arbeiten, du nicht!« Sie kennen nichts anderes, haben von Kindesbeinen an schuften müssen, hätte er noch hinzufügen können, doch ein Blick in ihr verzweifeltes Gesicht ließ ihn schweigen.
»Aber deshalb kann ich doch nicht mein Leben lang sinnlos zu Hause herumsitzen!«
»Ich für meinen Teil hätte gegen das süße Nichtstun nichts einzuwenden!«, erwiderte er grinsend. Als er feststellen musste, dass sich ihre Miene schon wieder verdüsterte, wechselte er rasch das Thema. »Übrigens, täusche ich mich oder sollte heute nicht deine Tante aus Deutschland ankommen?«
»Heute Abend um sechs. Wenn du jedoch glaubst, ich würde mich jetzt dem Projekt ›Landpomeranze in New York‹ widmen, dann hast du dich getäuscht. Soll doch Mutter ihrer Schwester die Stadt zeigen – ich werde mich ganz gewiss nicht darum reißen. Nach allem, was ich von dieser Marie gehörthabe, kommt sie mir ziemlich verschroben vor.« Wanda runzelte die Stirn. »Oder wie würdest du jemanden nennen, der sein Leben lang noch nicht aus seinem Dorf herausgekommen ist?«
Harold lachte. »Ich sehe, du hast dir dein Urteil über deine deutsche Tante schon gebildet.«
Wanda winkte ab. »Wahrscheinlich werde ich gar keine Zeit für sie haben, schließlich muss ich mir neue Arbeit suchen.«
Nach einem Blick auf ihre Uhr schlug sie die Hand vor den Mund. »Jetzt bin ich schon zu spät! Ich hätte vor einer Viertelstunde beim Friseur sein sollen.« Sie hatte kaum ausgesprochen, als sie sich schon über Harold beugte und ihm einen Abschiedskuss auf die Wange drückte.
»Friseur? Wird nicht von dir erwartet, dass du zur Ankunft deiner Tante zu Hause bist?«, fragte Harold erstaunt.
Wanda zog eine Grimasse. »Und wenn schon. Wahrscheinlich hat längst irgendeine Klatschbase – womöglich Monique selbst – meine Mutter von der Sache bei Schraft’s in Kenntnis gesetzt«, sagte sie spöttisch. »Ob es nun ein oder zwei Donnerwetter geben wird …« Sie zuckte leichthin mit den Schultern. »Vielen Dank dafür, dass du mir so geduldig zugehört hast.«
Und weg war sie.
4
»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du wirklich da bist!« Ruth drückte Maries Arm, während sie gemeinsam darauf warteten, dass der Chauffeur ihr Gepäck hinter der Sitzbank seines Wagens verstaute.
»Mir geht es nicht anders.« Nervös schaute Marie sich um: der Hafen, ihr Schiff, die »Mauretania«, auf dem Weg nachEllis Island, die Wolkenkratzer, die aus der Nähe betrachtet noch viel höher waren … Dazu der Chauffeur und Ruth. Vor allem Ruth. Alles fremd.
»Du siehst wunderbar aus«, entfuhr es Marie. Fast andächtig strich
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