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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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wie ein Junge. Kein Wunder, dass die Geburt dich ein wenig mitgenommen hat.«
    Sorge dafür, dass Patrizia uns allein lässt , flehte Marie Wanda im Stillen an. Da ist so viel, was ich dir sagen muss. Aber ich kann nicht, wenn sie mich mit ihren strengen Augen durchbohrt .
    »Sylvie de Lucca – was für ein schöner Name! Warte ab, bis du all die Sachen siehst, die Johanna mir für dein Kind mitgegeben hat!« Wanda lachte eine Spur zu fröhlich auf. »Da gibt es Kleidchen für den Fall, dass es ein Mädchen werden sollte. Und Hosen für den Fall, dass es ein Junge …«
    Nicht de Lucca, sondern Steinmann , schrie es in Marie. Wie sollte sie Wanda das alles erklären, solange Patrizia im Zimmer war? Sie schloss die Augen. Nur kurz ausruhen, dann …
    Nicht de Lucca. Nie mehr. Sylvie Steinmann soll das Kind heißen.

    Als Marie erwachte, saß Wanda noch immer an ihrem Bett. Sie hatte Sylvie auf dem Arm. Das Bild war so schön, dass Marie abermals weinen musste.
    »Sieht sie nicht aus wie eine Steinmann?«, flüsterte sie unter Tränen. »Sie hat die gleichen blonden Haare wie meine Mutter. Und wie du als Baby …«
    »Meinst du?«, fragte Wanda lächelnd. »Franco wird nicht begeistert sein, wenn du behauptest, euer Kind würde ganz nach unserer Familie kommen …« Sie deutete vage in Richtung Tür, wo Patrizia Wache stand.
    Marie lachte auf, was ihr jedoch nicht bekam. Sie musste sich an der Bettkante festhalten, so schwindlig war ihr auf einmal. Sie stöhnte leise auf.
    Nicht ohnmächtig werden. Ich muss Wanda alles erklären. Sylvie in Sicherheit bringen …
    »Sehen Sie nicht, dass Ihr Besuch der Kranken schadet?«, zischte Patrizia. »Es tut mir leid, Signorina Miles, aber wenn Sie nicht von allein wissen, was richtig ist, muss ich meinen Gatten holen.«
    »Nein! Wanda soll bleiben. Ich will nicht allein sein!« Marie umklammerte Wandas Hand. »Du kannst sie nicht hinauswerfen! Das ist auch mein Zuhause!«, schrie sie hysterisch in Richtung Tür.
    Erschrocken schaute Wanda in Maries vor Angst geweitete Augen. Sie machte ein paar beruhigende Geräusche, wie bei einem verängstigten Kind.
    »Hab keine Angst, ich bleibe hier, bis du wieder ganz gesund bist. Und niemand wird mich hinauswerfen!«, sagte sie mit einem Blick zur Tür.
    Marie schloss erneut die Augen. O doch, sie hatte Angst. Angst, dass ihr die Zeit nicht mehr reichen würde.

30

    Die nächsten Tage wurden für Wanda zu den schlimmsten ihres Lebens. Dieses Kaleidoskop aus Hoffnung, Angst und tiefster Verzweiflung würde sich bei dem Gedanken an Marie für immer vor ihrem inneren Auge zu drehen beginnen.
    Nachdem sie gesehen hatte, wie schlecht es um Marie bestellt war, weigerte sie sich, das Zimmer außer für den Gang zur Toilette zu verlassen. Sie spielte mit dem Gedanken, ein Telegramm an Johanna zu schicken und sie über Maries schlechten Gesundheitszustand zu informieren. Aber dafür hätte sie den Palazzo verlassen müssen. Wanda entschied sich dagegen. Was würde es Marie nutzen, wenn Johannavor lauter Sorge fast umkam? Es war besser, sich erst mit guten Nachrichten in Lauscha zu melden.
    Tag und Nacht saß sie an Maries Bett. Nur wenn Marie schlief, gönnte auch sie sich etwas Schlaf in einem Sessel, den sie neben das Bett rückte. Wenn Marie aber in eine der fiebrigen Ohnmachten fiel, zwang Wanda sich, wach zu bleiben. Es war beängstigend, Marie in diesen Momenten zu erleben. Dann redete sie mit Menschen, die nicht da waren, manchmal schrie sie auch, doch außer ein paar Namen und bruchstückhaften Worten verstand Wanda nicht viel. In diesen Stunden an Maries Bett wurde ihr zum ersten Mal bewusst, wie viele Arten von Lachen es gab: Manchmal kicherte Marie wie ein junges Mädchen, dann wieder lachte sie aus vollster Kehle, oder sie gackerte vor sich hin wie ein altes Weib, das den Verstand verloren hat. Sie befand sich dann in einer Welt, zu der nur sie Zutritt hatte. Besonders schlimm war es, wenn sie ihr verlorenes Lächeln auf dem Gesicht trug. Dann sah sie so einsam aus, dass Wanda sie umarmen und streicheln musste, immer wieder, und sie nicht loslassen konnte.
    Es gelang Wanda, die Contessa zu überreden, Sylvies Wiege in Maries Zimmer stellen zu lassen. Zuerst protestierte Patrizia heftig: Das Schreien des Kindes würde die Kranke stören. Und der Milchfluss der Amme würde neben einem Krankenbett womöglich versiegen. Und wenn die Frau gar nicht mehr in den Palazzo käme, was dann? Das wollte Wanda natürlich auch nicht

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