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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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sogleich überfallen wollte. Die wachen Momente waren rar, sie musste jeden davon nutzen.
    »Mein Kind. Wo ist mein Kind?«
    Wie hatte sie nur ihre Tochter vergessen können? Sie musste sich doch um sie kümmern. Um Sylvie.
    Besänftigende Worte drangen wie durch Watte an ihr Ohr, wischten die Panik weg, die in ihr aufsteigen wollte.
    Dem … Kind … geht … es gut … geht es …
    Maries Augen fielen zu, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
    Sylvie wie Marie. Ein kurzer Name. Mehr brauchte ihr Kind nicht. Ein guter Name. Sylvie Steinmann … Der Schwindel wurde stärker, ihr Kopf so schwer …
    Hinter ihren Lidern beginnt es zu glitzern wie Tautropfen nach einem Frühlingsregen. Aber es sind keine Wassertropfen, sondern geschliffene Glasprismen, die Sonnenlicht einfangen und es in einem bunten Reigen widerspiegeln.
    Gorgi an Maries Bett. Sie hält ihr eine gläserne Perlenkette vors Gesicht. »Siehst du, der Schatten ist weg!« Sie lacht, und ihre Haut glänzt regenbogenfarben.
    »Jetzt können wir Spaß haben …« Sie wedelt mit der Kette, die Prismen verschmelzen ineinander, werden runder und runder, werden zur Kugel.
    »Das ist das gläserne Paradies …«, murmelte Marie.
    *

    »Glauben Sie mir, Signorina Miles, es ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt, Ihre Tante zu besuchen! Die Geburt war ungewöhnlich anstrengend für sie, was damit zusammenhängt, dass das Kind falsch lag. Es waren … gewisse Vorkehrungen nötig, um das Leben von Mutter und Kind zu retten.«
    Welche Vorkehrungen? Wandas Stirn kräuselte sich sorgenvoll. Sie konnte sich darunter nichts vorstellen, aber es hörte sich schrecklich an. Oder hatte die Contessa in ihrem gebrochenen Englisch versehentlich das falsche Wort gewählt?
    »Und wie geht es Mutter und Kind jetzt?«, fragte sie mit bangem Herzen. Warum ließ sich die Contessa die Worte wie Würmer aus der Nase ziehen? Wie konnte sie so ruhig auf ihrem Empire-Sesselchen sitzen, während Wanda noch nicht einmal wusste, wie Maries Tochter hieß?
    Patrizia hob in einer nichtssagenden Geste die Schultern.»Der Arzt war heute Morgen da und hat nach Marie und dem bambino geschaut. Der Kleinen geht es gut, eine Amme kümmert sich um sie. Dem Himmel sei Dank, dass wir ein paar Häuser weiter eine Frau gefunden haben, die bereit ist, außer ihrem Kind auch Sylvie zu stillen.«
    Sylvie. So hieß Maries Tochter also. »Und was ist mit Marie?«, drängte Wanda.
    Patrizia seufzte tief. »Sie hat eine Infektion und hohes Fieber. Sie fantasiert im Schlaf, es hat den Anschein, als habe sie Alpträume. Dabei sagt der Arzt, dass Ruhe jetzt am wichtigsten für sie wäre.«
    »Fieber im Wochenbett? Aber das kann doch lebensgefährlich werden, oder?« Jedes Wort wurde von Wandas bangem Herzschlag begleitet. Wie oft hatte ihr die Mutter nach ihren Besuchen im Armenkrankenhaus von New York von Frauen erzählt, die unter kümmerlichen sanitären Bedingungen ihre Babys zur Welt brachten und kurze Zeit später an Kindbettfieber starben!
    Ein Schauer kroch über Wandas Rücken. »Ich muss sie unbedingt sehen, nur ganz kurz!«
    Patrizias kühle Finger legten sich auf Wandas Hand. »Glauben Sie mir, es wird alles für Marie getan. Nur sollten wir sie jetzt nicht unnötig durch Besucher aufregen. Ruhe, sagt der Arzt, sonst …«
    Wanda zog ihre Hand zurück. Selten war ihr eine Berührung so unangenehm gewesen. Sonst – was?
    Im nächsten Moment stand die Contessa auf. Ihre Haltung sagte unmissverständlich, dass sie das Gespräch für beendet hielt. Kein Wort, wann Wanda wiederkommen sollte. Und schon gar keine Einladung, im Palazzo zu wohnen, bis es Marie besserging.
    Was nun? Wanda kam sich vor wie ein Schauspieler in einem schlecht inszenierten Bühnenstück. Die Absurdität ihrer Situation machte ihr Angst: Da reiste sie ausDeutschland an, um Marie zu besuchen, und kam nicht weiter als bis in dieses grässlich dekorierte Besucherzimmer. Und nun wollte Maries Schwiegermutter sie mit vagen Ausflüchten abfertigen. Franco sei in dringenden geschäftlichen Angelegenheiten verreist – mehr hatte sie über die Abwesenheit ihres Sohnes nicht gesagt.
    Irgendetwas stimmte hier nicht. Stimmte ganz und gar nicht.
    Um Zeit zu gewinnen, nestelte Wanda umständlich ein Taschentuch aus ihrer Tasche, während sie unter niedergeschlagenen Lidern Maries Schwiegermutter beobachtete, die bereits an der Tür stand. Der steife Rücken, der ins Leere gehende Blick und das aufgesetzte Lächeln der Contessa erinnerten

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