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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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die Infektion entstandene Fieber wollte nicht sinken.
    In diesen Momenten auf dem Flur vor Maries Zimmer vereinte die Sorge um Marie die junge und die ältere Frau.
    *

    Eine Flamme, hellgelb und lodernd, direkt vor ihren Augen. Etwas verschleiert, wie durch ein Fenster in einer nebligen Nacht in Lauscha. Sie tritt näher an die Flamme heran. Oder kommt die Flamme näher zu ihr? Gleichgültig … Seltsam, die Flamme ist gar nicht so heiß, wie sie ausgesehen hat … Ihr Kern ist blässlich. Maries Lippen spitzen sich, sie will Luft hineinblasen. »Du musst kräftig blasen, damit die Flamme singt!« Das ist Vaters Stimme! Marie lächelt. Sie kann ihn hören, aber wo ist er? In ihrer Freude vergisst sie die Flamme und das Blasen. Die Flamme erlischt. Und Papa sagt: »Siehst du, jetzt ist sie aus. Für immer.«

    Als Marie aufwachte, war ihr Nachthemd von Schweiß getränkt. Sie hatte geträumt, wie so oft während ihrer Krankheit. Sie versuchte sich zu erinnern. Sie musste sich erinnern, es war wichtig!
    Marie nahm einen Schluck Tee, doch er schmeckte schal. Aus dem Nebenzimmer war Wandas Stimme zu hören. Sie schien mit Sylvie zu sprechen oder mit der Amme. Nicht mit Patrizia. Mit der sprach sie nicht in so freundlichem Ton. Unwillkürlich musste Marie lächeln. Treue Wanda.Liebe Wanda. Blut war eben doch dicker als Wasser. Plötzlich erinnerte sie sich.
    Es war keiner der Träume gewesen, in denen so viele Menschen durch ihren Kopf tanzten, dass er am Ende bei jeder Drehung schmerzte. Nein. Diesmal war ihr Traum ganz einfach gewesen: Sie hatte ihren Vater gesehen. Und eine Flamme, die erlosch. Keine x-beliebige Glasbläserflamme, sondern die Flamme ihres Lebens – die Erkenntnis traf sie mit aller Wucht und nahm ihr die Luft.
    Warum ich? Ich will noch nicht sterben!
    Sie erstickte ihr Jammern unter der Bettdecke, bevor es jemand hören konnte. Tränen liefen ihre Wangen hinab.
    Sie hatte doch noch so viel vor in ihrem Leben! Es war wie eines ihrer Glasbilder, bei denen die wichtigsten Teile noch fehlten.
    Johanna und Ruth … nie mehr wiedersehen? Immer hatten sie zusammengehalten. Die drei Steinmänner wurden sie von den andern im Dorf genannt …, und dann war sie einfach weggegangen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Verzeih mir, Johanna, verzeih!
    Was soll aus meinem Kind werden, wenn ich sterbe? Wer soll sich um Sylvie kümmern? Ihr sagen, dass alles möglich ist im Leben? Dass man auch als Frau seinen Weg gehen kann? Aber dass alles seinen Preis hat. Ihr Vater vielleicht?
    Der Gedanke, Sylvie allein lassen zu müssen, war mehr, als Marie ertragen konnte. Sie wand sich wie ein verwundetes Tier, und kleine, jämmerliche Laute kamen aus ihrem Mund.
    Nicht sterben … zu jung … so viele Aufgaben … wer soll sie übernehmen?
    In einer hilflosen Geste faltete sie die Hände zum Gebet, überlegte, was man in solch einem Moment sagte.
    Weder sie noch ihre Schwestern waren besonders religiös gewesen. Natürlich glaubten sie an Gott im Himmel, aber erhatte in ihrem Leben einfach keine besonders große Rolle gespielt.
    »Lieber Gott, ich flehe dich an, mach mich wieder gesund. Sylvie zuliebe.« Maries Stimme war belegt und klang sehr fremd, wie auch das ganze Gebet ihr fremd war. Trotzdem setzte sie erneut an: »Aber wenn du mich schon holen willst, dann sag mir wenigstens, was ich für mein Kind noch tun kann!«
    *
    Es war der dritte Tag nach Wandas Ankunft. Sie kam gerade aus dem nächstgelegenen Badezimmer, wo sie sich nach einer weiteren Nacht an Maries Bett notdürftig zurechtgemacht hatte. Am Vorabend hatte sie das Hausmädchen, das sie bei ihrem ersten Besuch an der Tür abgewiesen hatte, mit Patrizias Duldung in ihr Hotel geschickt, um einen Teil von Wandas Gepäck abzuholen. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, sich gleich alle Gepäckstücke bringen zu lassen, sinnierte Wanda, während sie die Klinke von Maries Zimmertür hinunterdrückte. Da Patrizia jedoch immer noch keine offizielle Einladung ausgesprochen hatte, hatte Wanda darauf verzichtet und sich mit ihrer kleinen Reisetasche begnügt, in der sich das Nötigste für die Zwischenaufenthalte während der Reise befand.
    »Marie! Du bist schon wach!«
    Der Anblick von Marie, die aufrecht im Bett saß, durchflutete Wanda wie warme Sonnenstrahlen. Vielleicht brachte ja der heutige Tag die Wende im Krankheitsverlauf, auf die sie alle so sehr warteten …
    Marie legte einen Finger an die Lippen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, aber

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