Die Amerikanerin
geht sozusagen um Leben und Tod«, beschwor Wanda ihn. »Und ich brauche Ihre Hilfe, sonst … bin ich verloren!«
»Aber …«
Resolut schob sie den Pagen ins Zimmer. Während sie in ihrer Tasche nach Geld kramte, sagte sie: »Außer uns braucht das natürlich niemand zu wissen, das versteht sich. Wenn Ihr Chef Sie rügen will, weil Sie länger weggeblieben sind als erwartet, dann schieben Sie es ruhig auf mich! Sagen Sie …, ach, sagen Sie einfach irgendetwas! Und während Sie essen, werfen Sie bitte einen Blick auf meine Tochter, ja? Sie ist gerade erst eingeschlafen und wird bestimmt keine Probleme bereiten. Und außerdem bin ich bald wieder zurück.«
»Aber …«
»Bitte! Sie bleiben hier und passen auf mein Kind auf, in Ordnung?« Ohne einen weiteren Einwand abzuwarten, drückte Wanda dem Mann einen stattlichen Geldbetrag in die Hand. Dann nahm sie ihre Handtasche und rannte aus dem Zimmer.
»Es ist ein Notfall, ich schwöre es!«, drängte sie wenige Minuten später den Mann an der Rezeption des Hotels. »Ich brauche unbedingt eine Verbindung zum Hotel Riviera in Venedig, gleichgültig, was es kostet!«
»Das ist keine Frage des Geldes, gnädige Frau, sondern ein technisches Problem«, erklärte der Mann ihr zum zweiten Mal. »Selbst wenn Sie die Telefonnummer des Hotels wüssten, was offensichtlich nicht der Fall ist, könnte ich nicht direkt diese Nummer anwählen. Dazu bedarf es eines öffentlichen Amtes. Und diese sind sonntags in den seltensten Fällen besetzt.«
Wanda rang flehentlich ihre Hände. »Aber können Sie es denn nicht wenigstens probieren? Vielleicht …, mit ein bisschen Glück … bitte!«
Sie setzte mit letzter Kraft ihr charmantes Lächeln aus einem vergangenen Leben auf.
Mit resigniertem Schulterzucken nahm der Mann den Hörer auf und begann zu wählen.
33
»Wanda! Ich warte schon seit Stunden auf dich! Den ganzen Nachmittag habe ich mich nicht aus dem Hotel getraut, weil ich dachte, vielleicht kommst du früher als ausgemacht … Wo bist du? Am Bahnhof? Soll ich dich abholen? Das wäre kein Problem, ich kenne Venedig inzwischen wie meine Westentasche, auch wenn die vielen Kanäle …«
Es tat so gut, seine Stimme zu hören! Wandas Hand mit dem Telefonhörer begann zu zittern. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte losgeheult.
»Richard, sei einen Moment still und hör mir zu! Ich bin nicht in Venedig, und ich komme auch nicht. Ich bin in Bozen.«
»Wo bist du? Die Leitung … Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden.«
Wanda lächelte traurig.
»Ich bin in Bozen«, wiederholte sie. »Auf dem Weg nach Lauscha.« Und bevor er etwas erwidern konnte, platzte sie mit dem Wesentlichen heraus. Dass Marie tot war. Dass sie, Wanda, mit einem Neugeborenen nach Lauscha reiste. Die Sache mit Franco und Maries Eingesperrtsein hielt sie so vage wie möglich. Wie sehr drängte es sie, ihm ausführlich von all den schrecklichen Dingen zu erzählen! Aber sie war schließlich nicht allein in der riesigen Hotelhalle, in der jedes Wort deutlich zu hören war. Zwischendurch musste sie sich die Nase putzen, weil sie vor lauter Weinen keine Luft mehr bekam. Der Mann an der Rezeption sah schon ständig zu ihr hinüber, aber Wanda scherte sich nicht um ihn.
»Ich … ich weiß nicht …, was ich sagen soll.« Einen Moment lang war nur das Knistern der Telefondrähte zu hören. »Wanda, meine liebe Wanda, was hast du durchmachen müssen! Ich kann gar nicht glauben, dass Marie … Es tut mir so furchtbar leid –«
Richard verstummte. Doch sein ehrliches Mitgefühl war tröstlicher als tausend Worte.
Dann schien er sich gefasst zu haben. Er wollte wissen, wie es Wanda ging. Und Sylvie. Er hatte sich sofort Sylvies Namen gemerkt, registrierte sie dankbar.
»Ich packe heute noch zusammen. Gleich morgen früh lasse ich mir eine Zugverbindung nach Bozen heraussuchen. Bleib einfach, wo du bist, wir fahren gemeinsam zurück nach Lauscha. Von jetzt an kümmere ich mich um alles, du brauchst keine Angst zu haben, ja? Wir beide schaffen das.«
Welche Verführung! So erleichternd, so einfach. Wanda holte einmal Luft.
»Nein, Richard. Ich will, dass du in Venedig bleibst. Dasist wichtig für dich. Ich habe es bis hierher geschafft, und den Rest des Weges werde ich auch noch schaffen«, antwortete sie mit mehr Zuversicht, als sie verspürte.
»Vergiss die Ausstellung! Ich habe schon jetzt ein paar wichtige Leute kennengelernt. Und in zwei Jahren findet der ganze Zirkus
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