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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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zusammenbraute.
    Besorgt schaute Wanda nach oben. Ein Gewitter war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Mit klammen Fingern wechselte sie den Babykorb von der rechten in die linke Hand, dann schulterte sie ihre Reisetasche und nahm ihren Koffer wieder auf. Doch schon nach ein paar Schritten spürte sie, wie die Kraft in ihren Händen nachließ. So ging es nicht weiter, sie musste sich ausruhen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdeckte sie ein Fleckchen Gras, das von ein paar riesigen Kastanienbäumen überschattet wurde. Wanda schaffte es gerade noch, die kleine Grünfläche anzusteuern, in deren Mitte ein marmornes Denkmal und davor eine Bank standen, dann ließ sie Koffer und Tasche einfach fallen. Das Babykörbchen stellte sie auf der Bank ab. Wanda setzte sich daneben. Mit leerem Blick starrte sie vor sich hin.
    Vor genau einer Woche war sie mit Richard durch dieselben Straßen geschlendert, mit Zeit und Muße und über alle Maßen glücklich. Sie hatten in der Nähe des Walther-Platzes zu Abend gegessen, sich vor dem Brunnen mit den dicken Putten geküsst. Und dann, später in der Nacht …
    Wandas Füße brannten, als wäre sie über heiße Kohlen gelaufen. Ihr Mund und ihre Lippen waren ausgetrocknet, und das Loch in ihrem Bauch war so groß, dass ihr vor lauter Hunger schwindlig wurde. Zudem war es nur noch eine Frage der Zeit, wie lange sich Sylvie damit zufriedengab, in der stickigen Luft durch die Gegend getragen zu werden. Aber all das war nicht ihr größtes Problem.
    Seit mehr als zwei Stunden irrte sie nun schon auf der Suche nach einem Nachtquartier in der Stadt herum. In drei Hotels und zwei kleineren Pensionen war sie gewesen, und überall war sie abgewiesen worden. Lag es an ihrem Alter oder an ihrem etwas derangierten Aussehen nach der langen, heißen Zugfahrt? Schätzte man Damen ohne männliche oder elterliche Begleitung nicht, oder war der Babykorb der Grund? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie stets die gleiche Antwort bekommen hatte: Kein Zimmer frei.
    Und nun? Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so sehr nach ihrer Mutter gesehnt. Und nach Tante Johanna. Beide waren sich ihrer Sache immer so sicher! Probleme schienen sich bei ihnen wie von selbst zu lösen. Sie würden wahrscheinlich nicht wie ein heulendes Häufchen Elend hier sitzen, sondern … Was würden sie tun? Wanda wusste es nicht. Dabei hätte sie sich so gern nach einem Vorbild gerichtet.
    Mit müden Armen hob sie Sylvie aus dem Korb und gab ihr das letzte Fläschchen, das sie dabeihatte. Gierig begann das Kind an dem Gumminuckel zu saugen. Seine roten Backen bewegten sich heftig, und eine kleine Falte der Konzentration hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Wanda lächelte. Schien es ihr nur so, oder war Maries Tochter tatsächlich in den letzten zwei Tagen schon ein wenig gewachsen? Bei dem Anblick des hungrigen Säuglings verspürte sie auf einmal neue Kraft.
    Lange konnte sie hier nicht sitzen bleiben! Sie musste eineApotheke suchen und Milchpulver für Sylvie besorgen. Und endlich ein Zimmer für die Nacht finden.
    Während sie Sylvie fütterte, ging sie im Geist den Inhalt ihres Gepäcks durch. In der Reisetasche befanden sich inzwischen größtenteils die Geschenke – vor allem die Babysachen –, die sie aus Lauscha mitgebracht hatte. Auf einen Teil davon würde sie gut verzichten können, die meisten Kleidungsstücke waren ohnehin noch zu groß. Lediglich die Windeln würde sie alle benötigen.
    Als Sylvie wieder satt in ihrem Korb lag, machte sich Wanda an die Arbeit. Ohne sich um die Blicke der Passanten zu kümmern, sortierte sie methodisch all jene Teile aus ihrem Gepäck aus, die sie nicht unbedingt auf der Reise brauchte. Als sie damit fertig war, war ihre Tasche zwar prall gefüllt, ihr Koffer jedoch überflüssig geworden. Sie würde ihn einfach auf der Parkbank stehen lassen. Vielleicht führte der Zufall ja einen bedürftigen Menschen hierher. Mit leichtem Gepäck und einigermaßen erholten Füßen machte sie sich erneut auf den Weg.

    Als sie schon nach fünf Minuten eine Apotheke gefunden hatte, hätte sie vor Erleichterung heulen können. Mit wackliger Stimme trug sie halb deutsch, halb italienisch ihren Wunsch nach Babynahrung vor.
    »Da muss ich erst in mein Lager gehen. Wenn die gnädige Frau kurz warten möchten …«, antwortete der Apotheker in melodischem Österreichisch. Dann verschwand er durch eine Tür.
    Welch ein Segen, dass der Mann zu den deutsch sprechenden

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