Die Amerikanerin
Bravo-Rufe waren nicht mehr als ein leises Summen in Francos Ohren.
Sie bemerkte ihn nicht gleich, sondern gestikulierte wild mit den Händen in Richtung der Dichterin. Im nächsten Moment machte sie einen Schritt zur Seite – und trat ihm dabei auf den Fuß.
»Hoppla!« Kichernd fuhr sie herum. »Entschuldigung, ich wollte nicht …«
Ihre Lider flatterten nervös, als ihre Blicke sich trafen. Erstaunt, fast schreckhaft schlug sie die Hand vor den Mund.
Ihre Gesichter waren keine Handbreit voneinander entfernt. Von nahem war sie noch schöner. Nicht ganz so jung, wie Franco geglaubt hatte, aber mit Augen, tiefer als jeder Bergsee und inniger als jede Umarmung.
Noch immer hielt sie die Hand vor den Mund, und ihre Augen blickten verwundert.
Wie von fremden Kräften gesteuert, langte Franco nach ihrer Hand und führte sie in andächtiger Langsamkeit an seinen Mund. Küsste erst ihren kleinen Finger, dann den nächsten, dann den nächsten. Erst als er auch die Handinnenfläche geküsst hatte, gab er sie wieder frei.
»Es ist doch gar nichts geschehen«, murmelte er wider besseres Wissen.
10
»Warum siehst du nicht ein, dass es einfach nicht sein soll, Liebes?« Stirnrunzelnd schaute Ruth von ihrem Schreibblock auf. »In den Sommermonaten kann man keine Arbeit finden,das weiß doch jeder. Dass du dir die Hacken abläufst, ändert daran auch nichts.«
Wanda schaute zu, wie Ruth einen Stapel Namenskarten immer wieder neu auf einem großen Bogen Papier platzierte.
»Und was soll im Herbst anders sein? Es liegt doch nicht am Wetter, dass ich einen Reinfall nach dem anderen erlebe!«
Den ganzen Vormittag hatte Wanda krampfhaft versucht, einen geschäftigen Eindruck zu vermitteln, aber schließlich war sie doch zu Ruth ins Esszimmer gegangen. Marie war wer weiß wo unterwegs, Harold in seiner Bank, zum Einkaufen hatte sie keine Lust – was blieb ihr also anderes übrig? Mehr um zu provozieren und weniger aus ehrlichem Interesse hatte sie ihre Mutter gefragt, was sie von ihrer Idee hielt, sich als Botschaftsangestellte für ein fremdes Land zu bewerben. Die Antwort war ein schlichtes »Gar nichts« gewesen, worauf der Hinweis folgte, dass sämtliche Botschaften stets zum Jahresanfang Stellen ausschrieben und nicht zur Jahresmitte.
Ruth schien nun mit der Verteilung der Namenskarten auf ihrem Papier zufrieden zu sein. Sie lächelte ihre Tochter an.
»Warum hilfst du mir nicht ein bisschen bei der Planung von Maries Ehrenfest? Marie würde sich sicher darüber freuen.«
Wanda zog ein Gesicht. »Ach, Mutter, wir wissen doch beide, dass niemand ein solches Fest besser plant als du! Wahrscheinlich hast du längst jedes Detail von den Servietten bis hin zur Musikfolge auf einer deiner Listen festgehalten.« Mit Genugtuung sah sie, wie eine leichte Röte Ruths Wangen überzog. Ertappt! Aus lauter Mitleid wollte Mutter sie an ihren »heiligen« Vorbereitungen beteiligen – so weit war es schon gekommen.
»Außerdem scheint es Marie sowieso ziemlich gleichgültig zu sein, was wir tun«, fügte sie bissig hinzu.
Ruth schürzte die Lippen. »Ganz unrecht hast du leider nicht – seit sie diesen italienischen Grafen kennt, kann man froh sein, sie überhaupt noch zu Gesicht zu bekommen.«
»Ha! Am Ende erscheint sie gar nicht zu ihrem Fest, wo dieser Franco doch auch nicht kommen kann – vielleicht solltest du ihre Abwesenheit gleich in deine Sitzordnung einplanen«, stichelte Wanda weiter. Dass Maries neuer Freund es gewagt hatte, eine Einladung von New Yorks ungekrönter Gastgeberkönigin auszuschlagen, hatte ihrer Mutter sehr missfallen.
Prompt hoben sich Ruths Augenbrauen zu zwei hohen Bögen. »Da ringe ich mich Marie zuliebe durch, einen völlig Unbekannten einzuladen, und was ist der Dank?«
Wanda seufzte mitfühlend. »Und das bei jemandem, dessen Name weder auf der A-Liste auftaucht noch sonst irgendwie einzustufen ist.«
»Recht hast du, meine Liebe. Mit den besten Leuten der Stadt hätte dieser Franco einen Abend lang verkehren dürfen. Aber wenn ihm seine Geschäfte wichtiger sind, bitte schön!« Wanda grinste in sich hinein. Mutter merkte es gar nicht, wenn man sie mit ihrem Standesdünkel aufzog. Sie beschloss, noch einen draufzusetzen.
»Womöglich ist er gar kein Adliger, sondern ein Betrüger und kommt nur deshalb nicht zu uns, weil er fürchtet, entlarvt zu werden.«
»Ich bitte dich, Wanda! Mach mir keine Angst!«, sagte Ruth. »Dass von unseren Bekannten keiner einen Conte de Lucca
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