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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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geschäkert, verliebte Blicke getauscht, heimlich getuschelt … Tja, und dann bin ich mit ihm aus lauter Liebe um die halbe Welt gereist!«
    Zuerst wollte Wanda wegen Ruths Bemerkung über Harold protestieren, doch dann sagte sie: »Erzählst du mir noch einmal, wie du damals mutterseelenallein bei Nacht und Nebel von Lauscha weggegangen bist?« Wanda liebte diese Geschichte, und Ruth liebte es, sie zu erzählen. Danach war sie meist in solch einer beseelten Stimmung, dass man alles von ihr haben konnte. Doch heute ließ sie sich nicht auf Wandas Ablenkungsmanöver ein.
    »Nein, nein, genug geredet! Ich muss mich an die Getränkefolge machen. Und für dich hätte ich ebenfalls eine gute Idee! Warum holst du dir nicht auch Papier und Federhalter?«
    Dienstbeflissen schaute Wanda auf. »Und dann?«
    »… könntest du den Brief an Tante Johanna schreiben, der schon seit Wochen überfällig ist. Von deiner Cousine Anna bekomme ich alle sechs Wochen ein paar nette Zeilen«, fügte Ruth noch hinzu.
    Wanda verzog den Mund. Nach allem war ihr zumute, nur nicht danach, ihrer hinterwäldlerischen Verwandtschaft in Thüringen, die nicht einmal ein Telefon besaß, zu schreiben!
    »Und wenn Marie heute zurückkommt, werde ich sie ebenfalls zum Schreiben anhalten. Fünf Wochen ist sie nun schon da, und keine Zeile hat sie denen zu Hause geschrieben – ein Unding ist das!«, empörte sich Ruth.
    Auf einmal hatte Wanda es eilig. Wenn ihre Mutter sich erst einmal in Rage redete, hagelte es am Ende meist nur unsinnige Verbote.
    »Tut mir leid, aber in dreißig Minuten beginnt meine Tanzstunde. Wenn ich mich jetzt nicht beeile, verpasse ich noch den Anfang und muss trotzdem die ganze Stunde zahlen!«
    Sie raffte ihren Rock zusammen und war schon halb zur Tür hinaus, bevor Ruth einen Einwand vorbringen konnte.
    »Vielleicht treffe ich sogar Marie bei Pandora! Dann kann ich sie daran erinnern, dass übermorgen unser Fest stattfindet.«
    *
    »Du hast was nicht?« Wandas Stimme kippte fast über.
    »Die Miete bezahlt. Ich hab’s einfach vergessen.« Gleichgültig wischte Pandora Wandas Empörung weg. »Man könnte es auch einen kleinen finanziellen Engpass nennen. So etwas kann doch mal passieren! Dir natürlich nicht, für solche Banalitäten hast du ja Daddy, nicht wahr?«
    Wanda bemühte sich, Pandoras Angriff zu ignorieren. Sie zeigte auf die riesigen Gepäckbündel, die sich an der Hausmauer im Innenhof von Pandoras ehemaligem Tanzstudio türmten. »Und nun?«
    Die Tanzlehrerin zuckte mit den Schultern.
    Als Pandora verkündet hatte, dass die Tanzstunde im Freien stattfinden würde, hatte Wanda sich im ersten Moment nichts Böses dabei gedacht. Eine von Pandoras Übungen, wahrscheinlich sollten sie heute das Spiel von Straßenkindern im Tanz ausdrücken, hatte sie geglaubt. Erst als sie und die anderen nach der Tanzstunde – die für Pandoras Verhältnisse im Übrigen mehr als konventionell ausgefallen war – sich im Waschraum hatten erfrischen wollen und Pandora ihnen erklärt hatte, dieser würde gerade renoviert, war sie stutzig geworden: Renovierungen in dieser elenden Bruchbude?!
    Während die anderen ungewaschen nach Hause getrottetwaren, hatte Wanda sich notdürftig mit ihrem Taschentuch den Schweiß von der Stirn gewischt.
    Wie ein Häufchen Elend saß Pandora nun auf einem der Bündel, die ihr ganzes Hab und Gut darstellten. Ihre Überheblichkeit schien verraucht.
    »Bisher hat sich in letzter Minute immer etwas ergeben«, sagte sie mit dünner Stimme. »Ich habe doch so viele Freunde!«
    Wanda nickte. Und wenn es darauf ankam, war keiner von denen zur Stelle!
    Sie drehte sich zur Seite und öffnete verstohlen den Bügel ihrer Handtasche. Nachdem sie den Inhalt ihres Portemonnaies überprüft hatte, ging sie zu Pandora hinüber.
    »Steh auf, du lahme Ente! Und lass dir von einem Trampeltierchen sagen, wie es weitergeht. Jetzt hilft nur ein Drei-Schritte-Plan.«
    In Pandoras Blick blitzte ein schwacher Hoffnungsschimmer auf.
    »Erstens werden wir die ganzen Sachen wieder vor dein Studio tragen. Es tut deinem Ruf gewiss nicht gut, wenn du wie eine Landstreicherin auf der Straße gesehen wirst.« Wanda schulterte bereits eines der Bündel.
    »Glaubst du, daran habe ich noch nicht gedacht? Ich weiß doch, wie es in den Köpfen der Spießer zugeht. Sie fragen sich, warum sie mich als Tänzerin ernst nehmen sollen, wenn ich es nicht einmal schaffe, meine Miete zu zahlen! Dass man als Künstlerin sozusagen in einer

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