Die Amerikanerin
darüber anhören, was einen Mann zu einer guten Partie machte. Kautschuk – man stelle sich vor!
Johannas Zusicherung, dass Wanda willkommen war, hatten sie inzwischen ebenfalls, sogar schriftlich. Wanda kannte den Wortlaut des Briefes, der vom vielen Lesen ganz zerfleddert war, längst auswendig.
»… Wir freuen uns sehr auf Wanda. Ich kann es kaum erwarten, mit eigenen Augen zu sehen, dass aus dem blond gelockten Säugling in Deinen Armen eine feine junge Dame geworden ist. Doch muss ich eine kleine Warnung voranschicken: So, wie die Dinge zurzeit stehen, werden weder Peter noch ich viel Gelegenheit haben, Wanda die alte Heimat zu zeigen. Natürlich werde ich einmal mit ihr nach Coburg fahren und selbstverständlich auch nach Sonneberg. Doch größere Unternehmungen müssen wir aufs nächste Frühjahr verschieben. Ich schlage drei Kreuze, wenn wir unseren Musterkatalog fertig haben!«
Danach hatte Johanna noch ein bisschen darüber lamentiert, dass bisher aus Genua wenig brauchbare Entwürfe gekommen waren und dass Magnus vor lauter Liebeskummer das Glasblasen verlernt zu haben schien und fast täglich teure Ausschussware produzierte.
»Magnus ist noch immer nicht über den Verlust von Marie hinweg. Er leidet wie ein Hund, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass ich ständig an seiner Liebe zu unserem Schwesterherz gezweifelt habe!«
Obwohl Johanna bei einem ihrer letzten Telefonate, die sie auf dem Sonneberger Postamt mit Ruth führte, erfahren hatte, dass Wanda nun die Wahrheit über ihren Vater wusste, schrieb sie zu Wandas Enttäuschung kein Wort über Thomas Heimer.
Und dann stand plötzlich Wandas Abreisetermin fest: Am 15. Oktober sollte es losgehen. Was bedeutete, dass sie geradeeinmal zwei Wochen Zeit hatte, um ihre Garderobe zusammenzustellen, Geschenke für ihre Verwandten in Thüringen zu kaufen und ein letztes, mit vielen Versprechungen gespicktes Abschiedsessen mit Harold einzunehmen. Es war für beide ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Natürlich hatte es Harold sehr getroffen, dass Wanda seinen Heiratsantrag auf unbestimmte Zeit ablehnte. Andererseits hatte Wanda das Gefühl, er sei, nachdem er sich von seinem ersten Schock erholt hatte, fast ein wenig erleichtert, ohne eine Ehefrau als »Ballast« seine neue, verantwortungsvolle Aufgabe antreten zu können. Zur Abschiedsfeier im Haus ihrer Eltern konnte er schon nicht mehr kommen, weil er zwei Tage zuvor nach Albuquerque abreisen musste.
Und dann war alles gepackt und alles gesagt.
Als Wanda mit einem kleinen Koffer in der Hand – ihr Hauptgepäck hatten sie schon am Vortag aufgegeben – am Vormittag des 15. Oktober auf der Treppe stand, die in den Schiffsbauch führte, und ihren Eltern zuwinkte, verspürte sie plötzlich einen rauen Kloß im Hals. Die Menschen unten im Hafen verschwammen zu kleinen bunten Punkten, und Wanda hatte Mühe, ihre Eltern zu entdecken.
Adieu, New York!
Millionen von Menschen kamen hierher, um ein neues Leben zu beginnen.
Ihre Mutter war hierher gekommen und hatte ihr Glück gefunden.
Marie war hierher gekommen und hatte ihr Glück gefunden.
Und sie, Wanda, kehrte nun der »Hauptstadt der Welt«, wie Steven sie nannte, den Rücken.
Ein seltsames Gefühl, ihre Heimatstadt zu verlassen, um in ihre Heimat zu fahren!
An der Gangway reichte sie dem Steward mit zittriger Hand ihre Papiere. Während er prüfte, ob jede Spalte korrektausgefüllt und alle Unterlagen komplett waren, wurde der Drang, sich umzudrehen und zurück zu den Eltern zu laufen, immer stärker. Was, wenn die Reise ein großer Fehler war?
»Willkommen an Bord!« Mit einem Lächeln gab der Steward ihr die Papiere zurück.
Zu spät. Jetzt konnte Wanda sich nicht mehr drücken. Und Angst vor der eigenen Courage hatten auch nur Feiglinge, oder?
Trotzdem war der Gedanke, auf dem Schiff ein paar bekannte Gesichter zu entdecken, auch wenn es nur die von Yvonne und Wilma Schwarzenberg waren, außerordentlich beruhigend.
Außer den Schwarzenbergs saßen noch fünf andere Reisende an ihrem Tisch: ein älteres Ehepaar aus Kentucky, das etwas mit Pferden zu tun und deren Namen Wanda nicht verstanden hatte; Sorell und Solveig Lindström, zwei Schwestern Mitte dreißig, die wegen einer Erbschaft nach Norddeutschland reisten, und Mister Vaugham, ein Eisenbahningenieur.
Der erste Gang des Mittagessens, eine Rinderconsommé mit Gemüsestiften, wurde von den aufgeregten Schilderungen von Sorell
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