Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
verstand: »Vecchietta«.
    Mit einem spöttischen Grinsen strich sich Marie über ihren Bauch. Von wegen altes Weib! Damit konnte sie niemand beleidigen. Sie fühlte sich frischer und jünger als je zuvor!
    Und überhaupt: Sollten sie doch tuscheln und heimlichtun, so viel sie wollten! Der Palazzo war groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Zumindest vorläufig.
    Vielleicht würden Francos Mutter und sie sich ja nach der Geburt des Kindes zusammenraufen. Dass so ein kleiner Wurm ein hartes Schwiegermutterherz erweichen konnte, davon hörte man ja immer wieder.
    Und wenn nicht? Marie sah keinen Grund, für immer und ewig hier wohnen zu bleiben, und wenn der Palazzo selbst noch so schön war! Es gab schließlich auch noch andere Häuser in Genua.

    Der Gedanke, im Speisezimmer Patrizias frostigen Blicken zu begegnen, ließ Marie trödeln. Nach zehn Uhr war die Contessa meistens im Garten, hatte sie herausgefunden. Dann wollte Marie in die Küche gehen und sich von der Köchin ein paar Scheiben Brot, den Honigtopf und ein Glas Milch geben lassen. Ihr Frühstück würde sie am Küchentisch hastig hinunterschlingen, während neben ihr die Magd Kräuter hackte, einen Hasen ausnahm oder Muscheln fürs Mittagessen säuberte. Wahrscheinlich hätte Marie ihr verspätetes Frühstück auch im Salon serviert bekommen, wenn sie danach gefragt hätte. Aber solche Äußerlichkeiten kümmerten sie wenig. Sie hatte bei Ruth in New York weiß Gott genug Zeit an vornehmen Tafeln verplempert. In ihrem neuenZuhause wollte sie sich endlich wieder dem widmen, was ihr wichtig war: ihrer Arbeit.
    Trotzdem war es schon fast elf Uhr, als Marie schließlich an ihrem Bolg saß. Vor ihr lag das Glasbild, das sie vor ein paar Tagen begonnen hatte: Es war das letzte aus einer Viererreihe, die die Elemente darstellten. Erde, Wasser und Luft standen schon auf dem Fensterbrett und fingen dort die Novembersonne ein. Kritisch beäugte Marie das Luftbild. Vielleicht hätte sie doch weniger Blauschattierungen verwenden und dafür farbloses Glas dazutun sollen? Andererseits hatte es auf dem Monte Verità wirklich Tage gegeben, an denen der Himmel aus einem einzigen blauen Guss gewesen war. Aber bestand Luft denn nicht aus mehr als nur Himmel? Gehörte nicht auch Wind dazu? Schmeichlerisch süßer Hauch ebenso wie kalte, peitschende Böen? Das hätte sie sich vorher überlegen müssen – ändern konnte sie nun nichts mehr, befand Marie ärgerlich, während sie das letzte Bild in die Hand nahm.
    Ob man Glas nun blies oder bemalte oder noch anders bearbeitete – es war und blieb der härteste Lehrmeister, den man sich denken konnte. Bei Glas gab es nur einen Versuch, wenn man diesen verhunzte, war es aus und vorbei. Nirgendwo konnte man in Glas Fehler verstecken, jeder noch so kleine Patzer blieb für immer sichtbar. Aber gerade das hatte Marie schon immer gereizt.
    Konzentriert betrachtete sie nun das Element Feuer. Sie hatte als Symbol dafür einen Baum in glühenden Herbstfarben gewählt, der die ganze Breite des Bildes abdeckte. Noch etwas Karmesinrot! Und ein wenig Ocker vielleicht, mehr würde sie nicht dazutun, das Bild glühte jetzt schon wie ein prasselndes Kaminfeuer. Der Baum des Lebens. Sie lächelte. Es wurde Zeit, dass sie ihm vollends Leben einhauchte!
    Ein tiefes Glücksgefühl wärmte sie von innen. Wie hatte sie die letzten Monate überhaupt ohne ihre Arbeit leben können?
    Nachdem sie sich rote und ockerfarbene Glasstückezurechtgelegt hatte, entzündete sie ein Streichholz. Doch statt die Glasbläserflamme anzuwerfen, wie dies früher stets ihre erste Arbeit gewesen war, hielt sie das Schwefelflämmchen nun an einen Lötkolben.
    Von der Glasbläserin zur Glaskünstlerin! In manchen Momenten konnte Marie selbst noch nicht fassen, dass sie es gewagt hatte, ihre künstlerische Arbeit derart auszudehnen. Doch als sie nun ein Stück Draht um eine in Blätterform zugeschnittene Glasscherbe wand und die Drahtenden zulötete, hatte sie das Gefühl, noch nie etwas anderes getan zu haben. Angefangen hatte alles auf dem Monte Verità, genauer gesagt mit dem Besuch bei der Glaskünstlerin Katharina, der nach langem Hin und Her schließlich doch noch stattgefunden hatte. Kaum hatten Pandora und sie die Tür der von außen unscheinbaren Hütte geöffnet, hatten sie sich mitten in einer Zauberwelt aus Abertausenden von Glasscherben, Spiegeln, Bildern und Kunstwerken aus Materialien wie Federn, Silberdraht, Muscheln und Perlen wiedergefunden. Und

Weitere Kostenlose Bücher