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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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ob sie über etwas völlig Normales sprach. Manchmal hatte ich, wenn sie sprach, das Gefühl, außer mir zu sein, an einem anderen Ort. Und dann – ich weiß nicht, wie genau es sich so ergeben hatte –, war nur noch eine Kerze übrig und Ashley war an der Reihe, die letzte Geschichte zu erzählen. Es war eine Erzählung von unerwiderter Liebe, eine Romeo-und-Julia-Geschichte von Krankheit und Hoffnung, von einem Mädchen, das jung starb und dadurch ihren Geliebten befreite. Alle waren gefesselt. Sie blies die Kerze aus und es war stockdunkel.
Zu
dunkel. Einige kicherten. Jemand machte einen schmutzigen Witz. Plötzlich war da ein Sauggeräusch und ich spürte, wie ein kalter Finger mich an der Stirn berührte. Ich war mir sicher, dass Ashley sich zu mir gebeugt und mich berührt hatte. Ich schrie und versuchte aufzustehen, doch mir waren beide Beine eingeschlafen. Demütigenderweise kippte ich von meinem Stuhl direkt auf den Boden. Astrid entschuldigte sich, half mir auf die Füße und schaltete das Licht ein. Alle lachten. Ashley saß da, ohne mich anzusehen, aber sie
lächelte
. Dieses Gefühl, das ich vor so vielen Jahren in The Peak gehabt hatte, dieser innere Druck, als hätte jemand meine Organe gepackt, das war wieder da. Ich wartete einige Sekunden, doch es wurde nicht besser. Ich entschuldigte mich und brach auf. Ich ging nach Hause, machte mir Tee und ging schlafen. Doch als Mike Stunden später neben mir aufwachte, lag ich im Koma. Ich hatte einen Schlaganfall gehabt. Im Krankenhaus erlangte ich mein Bewusstsein wieder und stellte fest, dass ich meinen rechten Arm nicht mehr bewegen konnte.«
    Olivia blickte auf den Arm, der schlaff in der Schlinge hing, fast so, als wäre er kein Teil von ihr, sondern eine Bürde, die sie mitschleppen musste.
    »Ich hatte ein Aneurysma. Die Ärzte sagten, dass es durch den Stress dieser Situation ausgelöst worden sein muss. Ich bin eine pragmatische Frau, Mr McGrath. Ich neige nicht zu hysterischen Schlussfolgerungen. Aber ich weiß genau, dass sie etwas mit ihr gemacht haben, mit Ashley, dass sie sich auf diese Weise verhielt.«
    »Wer?«
    »Ihre Familie.
Cordova.
«
    »Und was, glauben Sie, haben sie getan?«
    Sie sah mich nachdenklich an. »Haben Sie Kinder?«
    »Eine Tochter.«
    »Dann wissen Sie auch, dass jedes Kind unschuldig geboren wird, aber alles um sich herum aufsaugt wie ein Schwamm. Der Lebenswandel in The Peak, meine eigene Begegnung mit ihm vor all diesen Jahren, die Fragen, die er mir gestellt hat. Es war, als wäre ich ein Experiment. Genau das müssen sie auch mit Ashley getan haben. Nur konnte sie, anders als ich, nicht davonlaufen. Jedenfalls nicht als Kind.«
    Ich sah zu Nora hinüber. Sie wirkte verzaubert. Was Olivia sagte, passte zu meiner Vermutung, dass Ashley zum Zeitpunkt ihres Todes mit ihrer Familie zerstritten war, sich unter falschem Namen versteckte und nach jemandem suchte, der die Spinne genannt wurde. Was ich nicht verstehen konnte, war, wieso sie in das Stadthaus zurückgekehrt war, es sei denn, sie wollte dort Inez Gallo treffen. Vielleicht wohnte Gallo dort.
    »Haben Sie mal von jemandem gehört, der mit Cordova zu tun hat und den Spitznamen die Spinne trägt?«, fragte ich und beugte mich vor.
    »Die Spinne.« Olivia legte die Stirn in Falten. »Nein.«
    »Was ist mit Inez Gallo? Könnte es vielleicht
ihr
Spitzname sein?«
    »Cordovas Assistentin? Nicht, dass ich wüsste. Aber ich weiß nichts über sie, außer, dass sie, glaube ich, die Frau war, die mich zu Cordova geleitet hat. Und während er mich ausfragte, saß sie zu seiner Rechten, als wäre sie seine Handlangerin oder sein Bodyguard, oder vielleicht sein Unterbewusstsein.«
    Ich nickte. Die unterwürfige Position im Hintergrund bestätigte das, was auf den Blackboards über Inez Gallo zu lesen war.
    »Warum spricht niemand über Cordova?«, fragte ich.
    »Sie haben Angst. Sie schreiben ihm große Macht zu, ob echt oder nur eingebildet, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass in der Geschichte dieser Familie grauenhafte Dinge passiert sind. Da bin ich mir sicher.«
    »Warum haben Sie das nicht untersucht? Sie beschäftigen sich ganz offensichtlich leidenschaftlich mit dieser Sache. Sicher hätten Sie eine ganze Reihe von Mitteln zur Verfügung.«
    »Ich habe meinem Mann etwas versprochen. Er wollte, dass ich das Ganze vergesse, nach dem, was passiert ist. Wenn ich beim Versuch, der Sache auf den Grund zu gehen, jemanden verärgerte, würde ich dann auch meinen anderen

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