Die amerikanische Nacht
Arm verlieren? Und dann die Beine? Wissen Sie, ein Teil von mir glaubt tatsächlich, dass etwas in diesem Zimmer war, etwas, das das Mädchen heraufbeschworen hatte. Dass man mich dorthin brachte, um sich an mir zu rächen, und dass alles genau so geschah wie geplant. Ich musste für ein vermeintliches Vergehen bezahlen, das ich gegen meine Schwester begangen hatte.«
Ich musste an den Todesfluch denken. Genaugenommen war mein Leben tatsächlich gefährlicher, seit ich hindurchgegangen war; ich wäre fast ertrunken.
Es zerfrisst den Verstand, ohne dass man es bemerkt
, hatte Cleo uns gesagt.
Es isoliert einen und bringt einen dazu, sich gegen die Welt zu stellen, so dass man an die Grenzen gedrängt wird, an die Randbereiche des Lebens.
Ich konnte mir sogar vorstellen, dass jemand auf natürlichem Wege diesem Phänomen begegnete, wenn er hinter Cordova her war.
Olivia seufzte. Sie sah erschöpft aus. Die Intensität war aus ihrem Gesicht verflogen, jetzt wirkte sie blass.
»Ich fürchte, ich habe nicht mehr viel Zeit«, sagte sie und sah zur Tür hinüber. Ich folgte ihrem Blick. Ich hatte so gebannt zugehört, dass ich nicht bemerkt hatte, wie die Frau in dem grauen Anzug, die uns begrüßt hatte – Olivias Sekretärin, nahm ich an –, den Kopf durch die Tür steckte und ihre Herrin still darauf hinwies, dass der nächste dringende Termin anstand.
»Sie haben vorhin Allan Cunningham erwähnt«, sagte ich. »Ashley war vor ihrem Tod Patientin in Briarwood. Ich wollte herausfinden, unter welchen Umständen sie eingeliefert wurde, aber Cunningham hat mir das Leben schwergemacht. Könnten Sie mir da vielleicht weiterhelfen?«
Olivia lächelte amüsiert. »Allan hat mir versichert, dass Ashley niemals Patientin dort war. Aber ich frage ihn gern noch einmal. Wir werden bis einschließlich März in St. Moritz sein.« Sie rutschte auf die Sofakante und schlüpfte in ihre Schuhe. »Über die Nummer, die Sie haben, erreichen Sie meine Sekretärin direkt. Kontaktieren Sie sie, wenn Sie mich brauchen. Sie kann mir Nachrichten weiterleiten.«
»Das ist sehr nett von Ihnen.«
Sie stand auf – ihre drei Pekinesen plumpsten neben ihren Füßen auf den Teppich – und rückte den Seidenschal um ihren unbeweglichen Arm zurecht. Als Nora und ich aufstanden, ergriff Olivia mit einem entwaffnenden Lächeln meine Hand. Ihre braunen Augen leuchteten.
»Es war mir wirklich ein Vergnügen, Mr McGrath.«
»Das Vergnügen war ganz meinerseits.«
Wir machten uns auf den Weg zur Tür.
»Nur noch eine Frage«, sagte ich.
Sie hielt an und drehte sich um. »Natürlich.«
»Wenn ich mit Ihrer Schwester sprechen wollte, wo könnte ich sie finden?«
Sie wirkte irritiert. »Sie kann Ihnen nicht helfen«, sagte sie. »Sie kann sich nicht einmal selbst helfen.«
»Sie war mit Cordova verheiratet.«
»Und die ganze Zeit über war sie abhängig von Barbituraten. Ich bezweifle, dass sie sich an irgendetwas aus dieser Ehe erinnert – außer vielleicht, dass sie ein paarmal mit Cordova gefickt hat.«
Da war sie – unter all der makellosen Eleganz –, die kampflustige Göre aus der Militärfamilie.
»Es wäre trotzdem unbezahlbar, mit ihr über das zu sprechen, was sie da oben gesehen hat, wie der Mann so war, wie er lebte. Sie war ein Insider.«
Olivia starrte mich mit herrischem Blick nieder. Sie war es nicht gewohnt, dass man ihr widersprach. Oder vielleicht war es Verbitterung, dass der Name ihrer Schwester immer noch, nach all den Jahren, in ihrer Gegenwart genannt wurde.
»Selbst wenn ich Ihnen die Adresse geben würde, würde sie Sie nicht empfangen. Sie lässt niemanden an sich heran, außer ihr Dienstmädchen und ihren Dealer.«
»Woher wissen Sie das?«
Sie atmete tief durch. »Ihr Dienstmädchen kommt jede Woche hierher, um mir ihre Rechnungen zu geben und mich über ihren Gesundheitszustand zu informieren. Meine Schwester weiß nicht, dass sie bankrott ist, dass ich seit zwanzig Jahren ihre Pflege und ihre Drogen zahle. Und falls Sie sich fragen, warum ich sie nicht in die Betty Ford Klinik, zu Promises oder nach Briarwood geschickt habe, glauben Sie mir, das habe ich. Elfmal. Es bringt nichts. Manche Menschen wollen nicht nüchtern sein. Sie
wollen
die Wirklichkeit nicht. Seit ihnen das Leben einmal ein Bein gestellt hat, haben sie beschlossen, mit dem Gesicht im Dreck liegen zu bleiben.«
»Gut«, sagte ich. »Aber wenn es stimmt, was Sie uns erzählt haben …«
»Es stimmt«, blaffte sie.
»Dann kann
Weitere Kostenlose Bücher