Die amerikanische Nacht
fiel, und stiefelte aus dem Restaurant. Die Tür knallte hinter ihm ins Schloss.
»Er hat da oben irgendetwas gesehen«, flüsterte Nora mir zu. »Ich weiß nicht, was. Er wird’s wahrscheinlich nie jemandem verraten.«
Es hatte angefangen zu regnen und Hopper schloss den Reißverschluss seiner Jacke, blickte zu Boden und trat vom Fenster weg. Er war nicht mehr zu sehen.
»Egal, was er da gesucht hat«, sagte sie, »egal, was er von ihr wollte, er hat es gefunden.«
97
Auf der Rückfahrt in die Stadt war die Stimmung angespannt, wir schwiegen die meiste Zeit. Ich hielt bei River Rentals Inc. in Pine Lake an, um für das verlorene Souris River-Kanu zu bezahlen. Ich erzählte dem Typen mit Dreadlocks, dass es zerstört worden sei.
»
Im Ernst?
Was ist passiert, Mann?«
Ich gab ihm einfach meine Kreditkarte.
Das wollte er ganz bestimmt nicht wissen.
Auf dem Highway schlief Nora neben mir sofort ein. Ich dachte, dass auch Hopper schlief, doch jedes Mal, wenn ich in den Rückspiegel sah, starrte er bloß aus dem Fenster. Seine Miene war nicht zu entziffern, er war mit den Gedanken wahrscheinlich immer noch in The Peak.
Nora hatte absolut recht. Hopper hatte zugegeben, die Nacht in Ashleys Zimmer verbracht zu haben, und ich wurde den Verdacht nicht los, dass ihm dort etwas begegnet war, das seine Sicht auf das verändert hatte, was zwischen ihnen geschehen war. Es hatte ihn irgendwie befreit. Und er hatte sie davonfliegen lassen, diesen prächtigen schwarzen Vogel einer großen Liebe, die er in einem Käfig gehalten hatte. Wie muss es sich für ihn angefühlt haben, jeden Tag draußen im Wind und Regen zu stehen und aufs Meer hinauszublicken, sich nach einem Zeichen von ihr zu sehnen und nie die Hoffnung aufzugeben? Vielleicht wurde sie in The Peak endlich für ihn sichtbar, ein Schiff, das weder auf ihn zu- noch von ihm wegfuhr, nur immer auf dieser perfekten Linie zwischen Himmel und Erde unterwegs war, lang genug, damit er wusste, dass sie ihn geliebt hatte, dass das zwischen ihnen echt gewesen war, bevor es außer Sicht geriet, wahrscheinlich für immer.
Ich verstand seine Wut auf mich und seinen Wunsch, Ashley zu schützen. Ich hatte sogar damit gerechnet, dass Hopper und ich, je tiefer wir bei unseren Recherchen vordrangen, je verstörender die Erkenntnisse über ihre Familie wurden, unweigerlich über die Frage aneinandergeraten würden, was wir mit den Informationen anfangen sollten. Aber jetzt noch alles ruhen zu lassen, nicht bis zum Ende weiterzumachen, war für mich keine Alternative.
Stunden später, in der Abenddämmerung, waren wir zurück in Manhattan und rollten an heruntergekommenen Häuserblocks voller Fußgänger und Schlaglöcher entlang. Hopper bat mich, ihn bei seinem Apartment in der Ludlow Street abzusetzen. Das waren die einzigen Worte, die er während der gesamten Fahrt sagte.
Er stieg aus und warf sich seinen Rucksack über die Schulter.
»Wir sehen uns«, sagte er knapp und schlug die Tür zu.
»Warte«,
sagte Nora.
Sie kletterte eilig aus dem Auto und umarmte ihn. Er tätschelte ihr liebevoll das Kinn und ging dann die Treppen zu seinem Haus hoch. Als sie wieder einstieg, sah ich zu meiner Überraschung, dass sie weinte.
»
Bernstein.
Hey. Was ist los?«
»Du verstehst das nicht.« Sie wischte sich die Tränen ab. »Wir werden ihn nie wiedersehen.«
»Was? Jetzt sei nicht albern.«
Sie schüttelte den Kopf und sah zu, wie er im Gebäude verschwand.
Ihre Behauptung hatte mich überrascht, und ich war mir sicher, dass es nicht stimmte. Es konnte nicht so enden, nicht, wenn noch so viel unbeantwortet war. Doch dann erinnerte ich mich an sein Apartment, an die kahlen Wände und die Tasche aus South Dakota, an den Text von »Ramble On«. Hatte er vielleicht alle Antworten gefunden, die er brauchte, und war fertig mit uns – ganz einfach?
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn plötzlich war Nora untröstlich. Sie weinte leise, während wir die Lower East Side hinter uns ließen und über die Houston Street ins West Village fuhren. Ich versuchte sie zu trösten, aber ich war so erschöpft, dass ich mich nur noch darauf konzentrieren konnte, den gemieteten Jeep zurück zu Hertz zu steuern.
Um uns herum explodierte eine Samstagnacht im Village. Während wir zur Perry Street zurückliefen, an den Menschenmengen und den hupenden Autos vorbei, sagte Nora kein Wort. Als ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss, reagierte sie nicht auf meine Frage, ob sie etwas zu Abend
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