Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl

Vom Netzwerk:

gehörte. Sie sah sogar aus wie eine Hexe, mit ihrer grünen Bluse und den ganzen Ringen an den Fingern. Aber ich war so erschöpft und sie wirkte so zerbrechlich, dass ich eingestiegen bin. Sie hat mich direkt zum Motel gefahren und gesagt ›Pass auf dich auf, Mädchen‹. Und das war’s. Nichts ist passiert. Ich schleppte mich ins Zimmer und schlief sechzehn Stunden lang.«
    Ich starrte sie an. Ich spürte die nächste Kopfschmerzattacke anrücken, aber ich versuchte, mich zu konzentrieren, zu denken.
Eine Glasampulle zum Blutabnehmen? Medizinische Abfälle?
Warum sollte Cordova solche Dinge haben – um sie in einem neuen Film zu verwenden?
    Die Erwähnung von Nelson Garcia ließ mich an den anderen Vorfall denken, von dem er mir erzählt hatte, die UPS -Lieferung von medizinischen Geräten, die für The Peak gedacht war, aber versehentlich an seinem Wohnwagen abgegeben wurde. Nichts, was wir im Laufe der Ermittlungen erfahren, niemand, mit dem wir uns unterhalten hatten, hatte etwas erwähnt, was diese Geschichte oder Garcias Verdacht bestätigt hätte, dass in The Peak jemand verletzt oder krank war – außer vielleicht jetzt, diese Verbrennungsöfen, die Nora gerade beschrieben hatte.
    Hopper hatte ihr mit einer Art verärgerten Distanziertheit zugehört und sie bei manchen Einzelheiten ihrer Geschichte böse angestarrt – etwa bei der Erwähnung des Wortes
Verbrennungsöfen
und der Glasampulle mit der Aufschrift
Biogefährdung
.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich ihn. »Was ist passiert?«
    »Hopper hat es ins Haus geschafft«, platzte es aufgeregt aus Nora heraus. »Er hat Ashleys Zimmer gefunden …«
    »Ich weiß nicht genau, ob es Ashleys Zimmer war«, widersprach Hopper.
    »Aber – natürlich weißt du das.« Seine plötzliche Zurückhaltung überraschte sie sichtlich. Sie beugte sich zu mir herüber. »Er hat Briefe gefunden, die er Ashley geschrieben hatte und auf die sie nie geantwortet hat. Sie hat sie sicher aufbewahrt, geordnet, direkt neben ihrem Bett. Sie schienen eine Million Mal gelesen worden zu sein. Und auf ihrem Schreibtisch standen Bilder von den beiden zusammen. Und dann hat er ihren Übungsraum entdeckt …«
    »Ich weiß nicht, ob es ihr Übungsraum war …«
    »Aber du hast auf dem Klavier ein Stück gefunden, das sie geschrieben hat, und das
Tiger Foot
hieß.«
    »Tiger Foot?«,
fragte ich verwirrt.
    »Hoppers Stammesname aus dem Six Silver Lakes Camp.«
    Hopper sah wütend aus. »Ich weiß nicht, was ich da oben gefunden habe, okay? Ich weiß es nicht.«
    »Wie bist du ins Haus gekommen?«, fragte ich.
    »Ich bin aufs Dach geklettert. Da stand ein Fenster offen.«
    »Wie war es innen? Verlassen?«
    »Nein. Es war …
nett
.« Er strich sich das Haar aus dem Gesicht und schien es nicht weiter ausführen zu wollen, doch weil ich ihn bloß erwartungsvoll ansah, seufzte er. »Es war ein Schloss. Gigantisch. Düster wie Sau. Mahagonivertäfelte Wände. Wandteppiche mit Einhörnern. Zähnefletschende Bärenköpfe. Bilder von Sturmfluten und Chaos und gequälten Menschen. Holzstühle so groß wie Throne. Ritterschwerter an der Wand und ein Kronleuchter aus Eisen mit weißen Kerzen und voller Wachs. Nicht, dass ich viel Zeit gehabt hätte, mich umzusehen. Jemand ließ die Hunde zurück ins Haus. Ich fand ein Treppenhaus hinten im Haus, rannte runter in den Keller und versteckte mich im ersten Raum, der nicht abgeschlossen war. Da blieb ich stundenlang.«
    »Der Raum war mit Tausenden von Aktenschränken vollgestellt«, fügte Nora hinzu.
    »Aktenschränke?«, fragte ich. »Und was war darin?«
    »Porträts von Schauspielern. Millionen von Bildern und Lebensläufen mit seltsamen Notizen hinten drauf.« Sie erwartete, dass Hopper es mir erklärte, doch wieder schien ihn ihre Offenheit nur wütend zu machen.
    »Was für Notizen?«, setzte ich nach, als keiner der beiden weitersprach.
    »Angaben zur Person«, sagte Hopper.
    »Zum Beispiel?«
    »Hintergrund. Phobien. Geheimnisse.«
    »Das müssen Schauspieler sein, die Cordova für Rollen in Erwägung gezogen hat«, sagte Nora. »Das hat mich an das Vorsprechen erinnert, von dem Olivia Endicott erzählt hat. Weißt du noch, wie er ihr diese komischen persönlichen Fragen gestellt hat?« Sie warf Hopper einen Blick zu. »Wie war das noch bei der Frau, von der du mir erzählt hast? Dieser Shell Baker?«
    »Ihr Bild sah aus, als stamme es noch aus den Siebzigern«, sagte er. »Jemand hatte hinten draufgeschrieben, ›Keine Familie, nur