Die amerikanische Nacht
Betonklotz. Sie betrat die Bibliothek, griff sich ein schnurloses Telefon und begann zu wählen.
»Das würde ich nicht tun.«
»Non?«
»
Coyote
ist ein interessanter Spitzname. Ich persönlich würde einen etwas weniger belastenden Kosenamen vorziehen.
Menschenschmuggel zum Zwecke der Zwangsarbeit
? Ein Freund bei der Einwanderungsbehörde hat mir erzählt, dass es in Ihrer Heimatstadt einen ziemlichen Aufruhr gab.
Puebla
, oder? Offenbar kam dort einmal im Jahr eine mysteriöse Frau mit einem leeren Minivan angefahren und verließ die Stadt mit dem Auto voller Menschen – gestapelt wie Feuerholz. Ich habe mit ein paar von ihnen gesprochen. Die haben mir eine überraschende Beschreibung der Frau hinterm Steuer gegeben. Auf jedes dieser Vergehen stehen drei bis sieben Jahre. Bei wie vielen Filmen haben sie da oben mitgearbeitet? Zehn? Das macht dann dreißig bis siebzig Jahre. Nach The Peak dürfte das Bundesgefängnis einen ziemlichen Kulturschock bedeuten.«
Während ich dies sagte, beobachtete ich Gallos Gesicht. Sobald ich
Menschenschmuggel
gesagt hatte, wusste ich, dass ich voll ins Schwarze getroffen hatte.
Und
Gott sei Dank
– denn ich bluffte: Ich hatte keinen Freund bei der Einwanderungsbehörde und keinen einzigen Zeugen. In den letzten Tagen war ich meine hastig zusammengetragenen Notizen durchgegangen und hatte versucht, irgendetwas zu finden, was ich gegen Gallo einsetzen konnte. Ich kam immer wieder auf ihren Spitznamen zurück, den Peg Martin und auch Marlowe Hughes erwähnt hatten:
Coyote
. Ein Coyote war ein wilder Präriehund, aber zugleich ein Slangausdruck für jemanden, der illegale Einwanderer über die US -mexikanische Grenze schleuste. Das konnten provisorische Familienbetriebe sein, aber auch Organisationen, die von milliardenschweren Drogenkartellen finanziert wurden.
Peg Martin hatte ausdrücklich erwähnt, dass die Filmcrew den Spitznamen verwendete, und ich fragte mich, ob das bedeutete, dass Gallo tatsächlich ihr
Coyote
gewesen war. Dazu kam noch ihre Herkunft aus Mexiko und Marlowes Behauptung, dass Gallo die Drecksarbeit für Cordova erledigte, so dass ich spekulierte, dass es vielleicht Gallo gewesen war, die die illegalen Arbeiter nach The Peak gebracht hatte. Es lief vermutlich so ab, dass sie drei Monate lang bei einem Film eingesetzt wurden, dabei unzählige entsetzliche Handlungen mit ansahen und sie anschließend, nachdem man ihnen ausreichend gedroht hatte, so dass sie nichts davon ausplaudern würden, wieder wegschickte. Das war natürlich weit hergeholt, und ich hatte nicht damit gerechnet, dass es klappte – bis zu dem Augenblick, in dem ich die Farbe aus Gallos Gesicht entweichen sah.
Sie hatte sich deutlich verändert in den Jahren seit ihrem Hochzeitsfoto, das sie so strahlend zeigte, und auch seit dem Tag, an dem sie Cordovas Oscar für »Daumenschraube« entgegengenommen hatte. Es war, als hätten die Jahrzehnte, in denen sie dem Regisseur gedient, ihm so nahegestanden hatte, sie versteinern lassen. Ihr graues Haar war jetzt noch grober und drahtiger, ihre tiefsitzenden Augenbrauen schwerer, ihre Lippen so schmal wie ein Faden unter Spannung. Sie hatte nichts Leichtes oder Sorgloses mehr. Aber vielleicht passierte genau das, wenn man sich dafür entschied, für immer einen riesigen Planeten zu umkreisen, dessen Masse die eigene weit übertraf.
Sie hatte sich noch nicht geregt, sah mich nur angespannt an. Dann legte sie das Telefon hin.
»Was wollen Sie, Mr McGrath?«
»Mich mit Ihnen unterhalten.«
»Wir haben nichts zu besprechen.«
»Das sehe ich anders. Wir könnten damit anfangen, dass Ashley Cordova mit gerade einmal vierundzwanzig Jahren tot ist. Und dann habe ich noch ein Problem, nämlich dass jeder, mit dem ich über Ashley gesprochen habe, verschwunden ist, von einem ist sogar das Haus abgebrannt. Wenn Sie mit mir reden, lässt mein Freund von der Einwanderungsbehörde Ihnen die Sache mit der Sklavenarbeit vielleicht durchgehen.«
Sie sah wütend aus, aber biss sich auf die Zunge und ging langsam zur Bar in der Ecke, um sich einen Drink einzuschütten.
»Wenn
das
Sklavenarbeit war, würden Millionen dafür sterben, Sklaven sein zu dürfen«, murmelte sie. »Die lebten wie Könige.«
»Sie durften das Gelände nicht verlassen. Strenggenommen waren sie Gefangene.«
»So bezahlten sie für die Überführung – das war alles vorher so vereinbart worden. Es gab keinen Zwang und keine falschen Versprechungen. Nach den Produktionen konnten
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