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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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beiden auf, ohne das Verschwinden jedes einzelnen unserer Zeugen oder die Murad Zigaretten zu erwähnen, die Markenzeichen von Cordova, die sich in die wirklichen Nachforschungen gemischt hatten.
    Nur eine entscheidende Person war noch immer genau dort, wo ich ihr zuerst begegnet war.
    Ich ging noch einmal zu
Enchantments
und trat unangemeldet durch den schwarzen Vorhang in das Hinterzimmer. Ich rechnete damit, jemand anderes am runden Tisch sitzen zu sehen, der mir gelangweilt mitteilen würde, dass Cleo ins Bayou von Louisiana gezogen war.
    Doch zu meinem Erstaunen – und zu meiner Erleichterung – saß dort Cleo. Sie war überrascht, mich zu sehen, und nach ein paar ungelenken Höflichkeiten – ich fragte sie, ob sie Cordova kannte (»Den Regisseur? Nein«, antwortete sie, sichtlich verwirrt), ob sie gerne Tatar aß (»Ich bin Veganerin«), und prüfte, ob die rote Glühbirne in der Lampe über dem Tisch vielleicht von Phil Lumen hergestellt war (sie stammte von General Electric) – bedankte ich mich und ging. In meinem Kopf lief wie besessen immer wieder ab, was beim letzten Mal passiert war, als ich sie sah, als sie mir gezeigt hatte, wie der Schatten des Leviathanschwanzes machte, was er wollte.
    Das war echt gewesen.
    Es konnte nicht durch die
Mad Seeds
erklärt werden. Es war ein Hinweis auf die Realität von Schwarzer Magie, von dunklen und unsichtbaren Rissen in der gewöhnlichen Welt.
    Oder nicht?
Nachdem ich mir tagelang darüber den Kopf zerbrochen hatte, erhielt ich endlich den Anruf, auf den ich wartete.
    »McGrath. Sharon Falcone.«
    Ihre Stimme zu hören verunsicherte mich. Irgendetwas sagte mir, dass mir nicht gefallen würde, was sie über das Hemd mit den Flecken und die Knochen zu sagen hatte.
    »Wir haben uns angesehen, was du mir gegeben hast.«
    »Und?«
    »Da ist nichts.«
    Sie hielt inne, als wüsste sie, dass mich die Nachricht erschüttern würde.
    »In der Probe ist kein Blut, von Tieren oder sonst irgendwas. Was sie gefunden haben, sind Spuren von Glukose, Maltose und Oligosaccharide.«
    »Was ist das?«
    »Maissirup. Es könnte Limonade gewesen sein, irgendein Getränk, das auf das Hemd gespritzt ist. Dass es so steif geworden ist, muss an der jahrelangen Lagerung liegen. Aber die Probe ist so schlecht, dass sich das kaum sagen lässt.«
    »Es besteht keine Möglichkeit, dass es menschliches Blut ist?«
    »Auf keinen Fall.«
    Ich schloss die Augen.
Maissirup.
    »Und die Knochen?«, fragte ich.
    »Die wurden der Familie der
Ursidae
zugeordnet, vermutlich
Ursus Americanus

    »Was ist das?«
    »Ein Schwarzbär. Es ist wahrscheinlich der Fuß eines Bärenjungen.«
    Ein Schwarzbär.
    »Du brauchst Urlaub«, sagte Sharon. »Fahr mal für ein paar Wochen weg. Die Stadt kann einem ganz schön zusetzen. Das ist wie bei allen toxischen Liebesbeziehungen, man muss manchmal eine Pause einlegen, bevor es mit dem Schmerz und dem Kummer weitergeht.«
    Ich hatte nichts zu sagen, weil es einfach nicht stimmen konnte. Ich war so sicher gewesen, so sicher, dass es in den Filmsets zu echtem menschlichen Leiden gekommen war. Es konnte nicht so enden.
    »Bist du noch dran?«, fragte Sharon.
    »Tut mir leid, dass ich dich damit belästigt habe«, brachte ich heraus.
    Sie räusperte sich. »Du musst diese Sache hinter dir lassen. Glaub mir, ich verstehe, wie dir das zusetzt und dass es nichts Wichtigeres gibt, als diese eine versteckte Tür zu finden, die in den unterirdischen Bunker führt, in dem die Wahrheit hinter Gittern sitzt. Aber manchmal gibt es die Wahrheit einfach nicht. Selbst wenn du sie riechen und hören kannst. Oder es gibt keinen Weg mehr hinein. Der ist zugewuchert. Die Felsen haben sich verschoben. Schächte sind eingestürzt. Es gibt keine Möglichkeit mehr heranzukommen, auch nicht mit allem Dynamit der Welt. Also lässt man es am besten auf sich beruhen. Lässt es hinter sich.«
    Während sie dies sagte, rief jemand anderes bei ihr an, doch sie ignorierte es.
    »Die dunkle Seite des Lebens findet uns alle, so oder so, also hör auf, ihr nachzujagen.«
    »Danke, Sharon. Für alles.«
    »Vergiss es. Würdest du jetzt bitte an den Strand gehen, dir eine Freundin zulegen, schön braun werden, irgendwas?«
    »Klar.«
    »Pass auf dich auf.«
    »Du auch.«
    Sie hatte aufgelegt.
Ein Schwarzbärfuß.
    Den restlichen Tag verbrachte ich damit, zu versuchen, meine Enttäuschung zu vergessen. Ich befahl mir, es zu akzeptieren und sagte mir, dass Hopper und Nora recht hatten. Ich war am Ende

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