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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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aufgespürt hatten und der mit Ashley gesprochen hatte, alles, was mir in The Peak begegnet war, jedes Wort über Cordova, das mir zu Ohren gekommen war.
    Als ich es sah, begriff ich, dass es die ganze Zeit vor meiner Nase gewesen war.
    Torhaus. Haupthaus. See. Ställe. Werkstatt. Ausschau. Trophy. Pincoya Negra. Friedhof. Mrs Peabody. Labor. Das Z. Kreuzung.
    Das Wort stand über einem der dreizehn schwarzen Eingänge, unten in den Tunneln von The Peak.
    Pincoya.
Das war eine Art Meerjungfrau.
    »Mit langem blonden Haar und unvergleichlicher Schönheit, üppig und sinnlich, taucht sie aus den Tiefen des Meeres auf«, stand bei Wikipedia. »Sie gewährt Reichtümer oder straft mit schrecklicher Armut. Alle Menschen an Land sind von ihren Launen abhängig.« Dieses Geschöpf war nur an einem entlegenen Fleck der Erde gesehen worden, nirgendwo sonst – auf einer einsamen Insel namens Chiloé, vor der Küste Südamerikas.
    La Pincoya
war nur eine von zahlreichen Fabelwesen, die diese Insel zu Land und zu Wasser heimsuchten. Die Insel war elf Monate des Jahres in dichten Nebel und Regen gehüllt. Es war ein trostloser, ein unwirtlicher Ort, eine der entlegensten Inseln der Welt, und eine mit einer legendären Tradition der Hexerei.
    Ich erinnerte mich plötzlich an ein Detail, das Cleo erwähnt hatte, als wir zum ersten Mal bei
Enchantments
waren und sie die Bestandteile aus Ashleys Schwarzknochentodesfluch untersuchte.
    Ich kann dunkelbraunen Sand erkennen, und Seetang,
hatte sie gesagt.
Das muss Ihre Freundin von einem exotischen Ort haben.
    Es gab nur wenige Informationen über diesen Ort, Chiloé, doch im Blog eines spanischen Backpackers stieß ich auf eine weitere Verbindung.
    Puerto Montt.
    Das war die letzte Stadt auf Chiles Festland. Dahinter zerbröselte das Land wie ein Keks in Hunderte krümeliger Inseln. Der Backpacker war von Puerto Montt aus in eine weitere Stadt gereist, nach Pargua, und von dort aus hatte er die Fähre nach Chiloé genommen. Die Insel war nur per Boot zu erreichen, abgesehen von ein paar notdürftigen Flugplätzen.
    Ich wusste, dass ich den Namen dieser Stadt vor kurzem irgendwo gelesen hatte, und nach einer Stunde Suchen hatte ich es: in dem auf den Blackboards geposteten Artikel aus
The Natural Huntsman
, der sich mit Rachel Dempseys Verschwinden in Nepal befasste – Rachel Dempsey, die in »La Douleur« die Leigh gespielt hatte. Obwohl sie nach ihrem Verschwinden von der Jagdreise nicht mehr gesehen wurde, war ihr Satellitentelefon neun Tage später in Santiago de Chile angeschaltet worden. Sie hatte kurz mit einer Nummer telefoniert, die nach
Puerto Montt
zurückverfolgt werden konnte.
    Ich hatte die Notizen von meinem Interview mit Peg Martin im Washington Square Park noch einmal abgetippt und mich erinnert, dass Martin eine Affäre zwischen Theo Cordova und einer zehn Jahre älteren Frau namens Rachel erwähnt hatte, die in einem von Cordovas Filmen mitgespielt hatte.
    Ich überprüfte die Daten und stellte fest, dass Rachel Dempsey Anfang 1993 , dem Jahr, in dem Peg Martin an dem Picknick teilgenommen hatte, siebenundzwanzig gewesen sein musste. Theo war damals erst sechzehn, der Altersunterschied betrug also elf Jahre.
    Das war nah genug dran. Also waren Rachel und Theo zusammengewesen. Aber was genau hatte Rachel Dempsey auf dieser Jagdreise nach Nepal im Sinn gehabt? Wollte sie von der Erdoberfläche verschwinden? Sich spurlos aus dem Staub machen, um anschließend irgendwo auf dieser Insel wieder aufzutauchen und dann –
was genau
zu tun? Im Paradies mit ihrem Geliebten, Theo, wiedervereinigt zu sein? Was war auf dieser Insel?
    Die Häuser dort waren in einem einzigartigen Architekturstil erbaut. Sie hießen
palafitos,
bescheidene Hütten, die auf wackeligen Pfählen standen und in kräftigen Farben gestrichen waren, Rosa, Blau und Rot, so dass sie langbeinigen Wasserläufern ähnelten, die sich am Ufer drängten. Es war kein tropisches Paradies, sondern dornig und grau, mit scharfen Felsen und dunklem Wasser, das den Strand überspülte.
    Diese Pfahlhäuser hatte ich schon einmal gesehen.
    Und zwar, als ich im Gewächshaus der Familie Reinhart aus »Warte hier auf mich« war, in Popcorns Schuppen. Ich hatte an einer Pinnwand eine Postkarte gefunden – auf der genau diese Pfahlhäuser zu sehen waren. Zum Glück hatte ich sie abgenommen und die Rückseite angesehen, auf die jemand fünf Worte geschrieben hatte.
    Irgendwann bald bist du da.
    Das war noch nicht alles:

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