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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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erlosch auch sie.
    Mein Handy klingelte.
    »Hallo?«, meldete ich mich, ohne auf die Nummer des Anrufers zu achten. Ich rechnete mit einem Anruf meines Steuerberaters, der mir mitteilen würde, dass meine Ersparnisse so gut wie aufgebraucht waren und ich mich dringend um einen neuen Lehrauftrag kümmern oder mir ein Recherchethema suchen musste, das tatsächlich Geld einbrachte.
    »Scott? Hier ist Cynthia.«
    Sofort packte mich die Angst. »Ist was mit Sam?«
    »Nein. Der geht’s wunderbar. Naja, das stimmt eigentlich nicht.« Sie holte tief Luft. »Passt es dir gerade?«
    »Was ist los?«
    Sie klang aufgebracht. »Es tut mir leid. Dass ich nicht zurückgerufen habe. Ich dachte, es sei das Beste. Aber sie ist untröstlich. Scott hier, Scott da. Sie weint die ganze Zeit. Ich halte das nicht mehr aus.« Cynthia schien selbst den Tränen nahe zu sein. »Könntest du am Samstag ein bisschen Zeit mit ihr verbringen?«
    »Samstag passt.«
    Sie schniefte. »Vielleicht kann sie ja über Nacht bleiben.«
    »Das wär schön.«
    »Gut. Wie geht’s dir überhaupt?«
    »
Jetzt
geht’s mir super. Wie geht’s dir?«
    »Gut.« Sie lachte leise. »Dann also Samstag?«
    »Samstag.«
    Wir legten auf. Ich konnte meinen Blick nicht von den Kerzen abwenden.
    Sie rauchten unschuldig vor sich hin, drei lange graue Fäden, die die Luft bestickten.

116
    Ich hatte das deutliche Gefühl, dass ein Wunder geschehen war, als am Samstag Sam vor meiner Tür stand, mit Jeannie im Schlepptau.
    Es war ein klarer Wintertag mit dem Schwung und der strahlenden Unverwüstlichkeit eines Teenagers, der Himmel war blau, die Sonne blendete und der zwei Tage alte Schnee knirschte wie Zuckerguss unter unseren Schuhen. Ich zog alle Register: Pancakes mit Zitrone und Ricotta bei
Sarabeth’s
; eine Expedition durch das Spielzeuggeschäft FAO Schwarz, wo Sam von einem Afrikanischen Elefanten aus der Safari-Kollektion sehr angetan war, in Lebensgröße und zum Preis von zwölfhundert Dollar (
seine Haut war von erfahrenen Handwerkern minutiös von Hand zugeschnitten
, wie uns das Etikett informierte), doch als gutes Kindermädchen verhinderte Jeannie, dass ich ihn kaufte. Nach dem Eis im The Plaza waren wir Jeannie los; als der Zuckerkick nachließ, beschloss sie, die Krönung des Tages auszulassen – Schlittschuhfahren auf dem
Wollman Rink
im Central Park – und uns später bei mir zu Hause zu treffen.
    »Seien Sie bitte vorsichtig«,
sagte Jeannie und warf mir einen strengen, wissenden Blick zu, bevor sie sich auf den Rücksitz des Taxis fallen ließ.
    Aber es lief alles glatt, mit nur einer Schwierigkeit: Sams linken Fuß in den Schlittschuh zu bekommen. Er schien jedes Mal am Knöchel hängenzubleiben, so dass sie das Gesicht verzog. Also nahm ich den Schuh und bog ihn soweit auf wie möglich, wobei ich so angestrengt tat, als wäre ich ein Anwärter auf den Titel des Mister Universum – Sam fand es witzig –, und dann gingen wir aufs Eis, Vater und Tochter, Hand in Hand. Die Bahn war voll mit Touristen – sie waren zu gut gelaunt, um echte New Yorker zu sein –, doch sobald wir von der Meute geschluckt waren, war es, als wären wir in ein Meer der Freude eingetaucht. Um uns herum waren nur bunte Anoraks, das Zischen der Kufen und Gelächter, während über uns die Häuser von Central Park South und Fifth Avenue emporragten.
    Als wir über den gepflasterten Gehsteig der Fifth Avenue gingen, geschah etwas Tolles. Sam verriet mir den Namen ihrer besten Freundin: Delphine. Das Mädchen schien mit ihren sechs Jahren bereits extrem mondän zu sein, sie war in Paris geboren.
    »Delphine wird in einer Limousine zur Schule gefahren«, sagte Sam.
    »Schön für Delphine. Und wie kommst du zur Schule?«
    »Mama geht mit mir zu Fuß.«
    Gott sei Dank, Bruce schien seinen Bentley nicht rauszurücken. Ich machte mir im Geiste eine Notiz, die gute Delphine im Auge zu behalten. Es klang mir so, als würde sie ziemlich bald aus Schlafzimmerfenstern klettern.
    Sam wollte mir ihre neuen Schienbeinschoner und Stollenschuhe zeigen. Vor kurzem hatte sie den Unterschied zwischen Fahrenheit und Celsius gelernt. Außerdem mochte sie ihre neue Sportlehrerin, eine junge Frau namens Lucy, die mit Mr Lucas verheiratet war, dem Erdkundelehrer. Sam sprach leise und klar über diese Themen, mit der Autorität einer leitenden Beamtin erklärte sie es mir, dem fröhlichen und unwissenden Untergebenen. Sie erwähnte auch ein paar Namen –
Clara
, einen Hund (oder einen

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