Die amerikanische Nacht
nannten wir sie Bangles. Für kein Geld der Welt konnte man sie davon abbringen, in der Öffentlichkeit ›Walk like an Egyptian‹ zu singen.«
»Ich habe
nicht sie
gemeint.«
Ich half Nora in ihre Jacke. »Was hast du
dann
gemeint, und mach schnell, wir müssen los.«
»Du hältst dich für subtil, aber das bist du nicht.«
Ich drängte sie in den Hausflur und schloss die Tür ab. »Subtil inwiefern?«
»Zu verbergen, dass du sie wie verrückt liebst.«
»Hey, hier ist niemand verrückt oder verliebt, in niemanden.«
Sie legte mir die Hand auf die Schulter und sah mich mitleidig an.
»Du musst endlich darüber hinwegkommen. Sie ist
glücklich
.« Und damit ging sie fröhlich den Hausflur entlang und ließ mich stehen. Ich starrte ihr nach.
32
Hopper wartete an der Straßenecke bei der HSBC Bank auf uns und rauchte. Der ernste, eingefallene Ausdruck auf seinem Gesicht ließ ahnen, dass er in den zwei Tagen, seit wir ihn zuletzt gesehen hatten, kaum geschlafen hatte.
»Was machen wir hier?«, fragte ich ihn.
»Erinnerst du dich, was Morgan Devold gesagt hat? Dass er dachte, Ashley müsse jeden Tag Klavier spielen?«
»Sicher.«
»Gestern hab’ ich mir überlegt, wenn Ashley in die Stadt kam, um jemanden zu finden, wo würde sie dann hingehen, um zu spielen?«
»Jazzclubs. Das Julliard Konservatorium. Eine Hotel-Lobby? Schwer zu sagen.«
»An diesen Orten würde man niemals zulassen, dass eine Fremde von der Straße reinkommt und spielt. Aber dann hab’ ich mich erinnert, dass ein Freund von mir sich in der Klassikszene gut auskennt. Wenn man richtig gut ist, lassen sie einen in den Verkaufsräumen der
Piano Row
so lange spielen, wie man mag. Heute Nachmittag war ich bei ein paar dieser Läden und habe rumgefragt. Einer der Geschäftsführer hat sie tatsächlich erkannt. Ashley war in der Woche vor ihrem Tod zweimal da.«
»Gute Arbeit«, sagte ich.
»Er wartet auf uns. Aber wir müssen uns beeilen, weil sie gleich schließen.« Er schmiss die Zigarette auf den Gehsteig und machte sich auf den Weg.
Ich hatte noch nie von der
Piano Row
gehört. Es war der kleine Teil der 58 th Street zwischen Broadway und Seventh Avenue, wo zierliche Klavierläden zwischen schwerfälligen Apartmenthäusern aus den 1960 ern klemmten, wie ein paar Spatzen, die zwischen Nilpferden lebten. Wir eilten an einem kleinen Laden namens
Beethoven Pianos
vorbei. Im Schaufenster klebten Plakate, auf denen für Vivaldi Konzerte und Gesangsunterricht geworben wurde. Drinnen standen identische, glänzende Stutzflügel mit geöffneten Deckeln aufgereiht, wie kräftige Revuetänzerinnen, die auf ihren Einsatz warteten. Hopper schlurfte an einem Morton-Williams-Supermarkt vorbei. Dann überquerte er die Straße, ging an einer Feuerwache vorbei und hielt schließlich vor einem Laden mit einer schmutzigen grünen Markise, auf der
Klavierhaus
stand.
Ich hielt Nora die Tür auf und wir betraten das Geschäft. Anders als bei
Beethoven Pianos
waren hier nur drei Klaviere ausgestellt. Der Laden war menschenleer, kein Kunde oder Verkäufer war zu sehen. Im Zeitalter des Internets schienen Klaviere, genau wie gedruckte Bücher, vom kulturellen Aussterben bedroht. So würde es wahrscheinlich bleiben, es sei denn, Apple erfand das iKlavier, das man in die Tasche stecken und per SMS beherrschen könnte.
Mit dem iKlavier kann jeder zum iMozart werden. Dann könnte man sein eigenes iRequiem für seine eigene iBeerdigung komponieren, zu der Millionen von iFreunden kommen, weil sie einen so igeliebt haben.
Hopper kam durch eine Tür ganz hinten im Laden zurück. Hinter ihm ging ein Wicht von einem Mann, mittleres Alter, braune Cordhose und schwarzer Rollkragenpullover, auf dem halbkahlen Kopf einige wild wachsende graue Haare. Er sah aus wie jemand, der nur für die klassische Musik lebte. Man stieß in einem Radius von zehn Häuserblocks um die Carnegie Hall häufig auf solche Mahler verehrenden Männer. Sie trugen oft Erdtöne, hatten die komplette
Großartige-Aufführungen
-Serie des öffentlichen Fernsehens auf DVD , wohnten allein in einem Apartment in der Upper West Side und sprachen jeden Tag mit ihren Topfpflanzen.
»Das ist Peter Schmid«, sagte Hopper.
»Der Geschäftsführer vom
Klavierhaus
«, fügte Peter stolz hinzu.
Nora und ich stellten uns vor. »Stimmt es, dass Ashley Cordova vor ein paar Wochen hier war?«, sagte ich.
»Ich ahnte
damals
nicht, wer sie war«, sagte Peter eifrig und faltete seine Hände. »Aber Mr Coles
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