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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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allerdings, nur fürs Protokoll, aufregender, als es war. Mit Aurelia zu schlafen war, als würde man den Zettelkatalog einer menschenleeren Bibliothek nach einem unbekannten, kaum beachteten Eintrag zur ungarischen Lyrik durchstöbern. Es war totenstill, niemand konnte mir sagen, wo ich hinmusste, und nichts war da, wo es sein sollte.
    »Das hier ist alles ganz jugendfrei, also was ist das Problem?«
    »Du hast sogar vergessen, dass Sam heute kommt.«
    »Das stimmt nicht. Es wird ihr sehr gut gefallen. Wenn es Ärger gibt, ruf ich dich an und du kannst sie mit dem Blackhawk auf dem Luftweg hier herausholen.«
    »Was ist mit Nancy?«
    »
Nora.
Die geht um zehn.«
Jetzt war kein guter Zeitpunkt, um zu erwähnen, dass Sam eine Mitbewohnerin hatte.
    Cynthia seufzte. Diesen kapitulierenden Blick kannte ich. »Sorg dafür, dass sie morgen Abend um sechs zu Hause ist. Bruce und ich haben unsere Reise nach Santa Barbara auf nächste Woche verlegt, dann hast du Sam für das lange Wochenende.« Sie sah mich skeptisch an. »Falls du das schaffst.«
    »Ich schaff das.«
    »Wir fahren zusammen mit Freunden, du kannst es dir also nicht plötzlich anders überlegen.«
    »Du kannst es mir glauben. Ich verbringe gerne mehr Zeit mit ihr.«
    Das schien sie zu akzeptieren. Sie strich sich ihr blondes Haar über die Schulter und starrte mich erwartungsvoll an. Sie wartete darauf, dass ich noch etwas sagte.
    Dies war eines der großen Rätsel unserer Ehe gewesen. In den sechzehn Jahren, die wir zusammen waren, hatte Cynthia oft erwartet, dass ich noch etwas sagte, als gäbe es ganz konkrete Worte, die den Zugang zu ihr öffneten wie zu einem hochmodernen Tresor. Ich fand nie auch nur annähernd die richtige Kombination.
Ich liebe dich
funktionierte nicht. Genauso wenig
Was meinst du?
oder
Sag mir doch, was du hören willst
.
    Sie wartete dann eine Minute, vielleicht länger, bis sie merkte, dass sie bis auf weiteres ungeöffnet bleiben würde. Dann ging sie weg, in dicht verschlossenem Schweigen versunken. Genau das tat sie jetzt. Sie öffnete die Tür und ging den Flur entlang.
    Ich wollte gerade hinter ihr her, als ich mein Handy in der Tasche klingeln spürte. Es war Hopper.
    »Komm zur Ecke 58 th und Broadway«, rief er, als eine Polizeisirene in den Hörer kreischte.
»Sofort.«
    »Was?«
    »Ich habe jemanden gefunden, der Ashley ein paar Tage vor ihrem Tod gesehen hat.«
    Ich warf einen Blick in den Flur. Cynthia nahm Sam die Jacke ab.
    Scheiße.
    »Gib mir zwanzig Minuten«, sagte ich und legte auf.
    Also konnte Hopper sich doch nicht fernhalten. Der Junge stellte sich als echter Trumpf heraus.

31
    Sam starrte mich missmutig an. Obwohl ich in die Hocke gegangen war und ihr so dramatisch, wie ich konnte, erklärt hatte, dass ihr Papa eine
streng geheime Angelegenheit
zu erledigen hatte und sofort los musste und sie deshalb bei Mama bleiben würde – sagte sie kein Wort.
    »Nächstes Wochenende verbringen wir vier Tage zusammen«, sagte ich. »Nur wir beide, okay?«
    Immer noch Stille. Doch dann schien ihr ein sehr ernster Gedanke zu kommen. Sie streckte die rechte Hand aus und
tätschelte
mir den Kopf. Das hatte sie noch nie getan. Cynthia sah mich mit errötetem Gesicht scharf an –
Tolle Erziehungsleistung
 –, doch Sam zuliebe lächelte sie zustimmend, zog den Griff des Toy-Story-Rollkoffers heraus und drückte ihn Sam in die Hand, die damit pflichtbewusst zur Tür rollte, wie eine erschöpfte Stewardess, die gerade erfahren hatte, dass sie noch einen Flug nach Cincinnati absolvieren musste.
    »Tschüss, Süße«, sagte ich. »Ich liebe dich mehr als – was noch mal?«
    »Sonne plus Mond«, antwortete sie und ging den Hausflur entlang.
    »Ich mach es wieder gut«, sagte ich zu Cynthia.
    »Na
klar
.« Sie strich sich das Haar über die Schulter und lächelte, dann ging sie hinter ihr her. »Wir schreiben es auf deinen Zettel.«
    Ich schritt zum Flurschrank und bemühte mich, den Tsunami von Schuldgefühlen zu ignorieren, der durch mich hindurch spülte.
    »Hopper hat angerufen«, sagte ich über die Schulter zu Nora. »Wir treffen ihn jetzt sofort Uptown. Er hat eine Spur.« Ich griff meine Schlüssel, doch Nora bewegte sich nicht aus der Wohnzimmertür weg. Sie sah mich mit großen Augen an.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Das war
schlimm

    »Was war schlimm?«
    »
Das

    »Meine Ex-Frau? Ja, ich weiß. Kannst du dir vorstellen, dass diese Frau mal nur dafür gelebt hat, samstags Karaoke zu singen? Im College

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