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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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(und auch Ingmar nie zu fassen bekam), verstarb völlig verbittert im Alter von einundachtzig Jahren, nachdem er seine Tochter verloren hatte, seine Frau verschwunden war und der Kapitalismus um ihn her blühte und gedieh. Da er nicht mehr lebte, musste er zumindest nicht mit ansehen, wie sein gesamter Besitz von den Holgers und Ingmar übernommen wurde. Holger 1, den es wirklich gab, war der Erbe.
    Der Anführer der Kommunisten in Södertälje hatte neben seiner politischen Tätigkeit mit dem Import und Verkauf von Produkten aus der Sowjetunion zu tun gehabt. In letzter Zeit war er in Schweden über die Marktplätze gezogen, um seine Waren zusammen mit der Größe der Sowjetunion anzupreisen. Ab und zu funktionierte beides ganz leidlich, aber der Gewinn reichte gerade zur Deckung der nötigsten Grundbedürfnisse, inklusive eines Farbfernsehers, zweier wöchentlicher Besuche im Spirituosengeschäft und dreitausend Kronen Parteispende pro Monat.
    Zu den Dingen, die Nummer eins von seinem Großvater erbte, gehörten ein gut erhaltener Lkw und eine Garage, die zugleich als Lager diente und mit Krimskrams vollgestellt war. Der alte Mann hatte in all den Jahren etwas schneller eingekauft, als er verkaufen konnte.
    Zu den Waren gehörten schwarzer und roter Kaviar, saure Gurken und geräucherter Krill. Es gab georgischen Tee, weißrussisches Leinen, russische Filzstiefel und Robbenfelle von den Inuit. Da gab es Emaillegefäße aller Art, inklusive dem typischen grünen Abfalleimer mit Pedal zum Öffnen. Da gab es furashki , die russischen Militärmützen, und ushanki , Pelzmützen, in denen man unmöglich frieren konnte. Da gab es Wärmflaschen aus Gummi und Schnapsgläser mit aufgemalten Vogelbeeren. Und geflochtene Strohschuhe in Größe siebenundvierzig.
    Da gab es fünfhundert Exemplare des Kommunistischen Manifests auf Russisch und zweihundert Ziegenhaarschals vom Ural. Und vier Felle von Sibirischen Tigern.
    Das alles und noch viel mehr fanden Ingmar und die Jungen in der Garage. Und last, but not least:
    Eine zweieinhalb Meter hohe Leninstatue aus karelischem Granit.
    Wenn Ingmars Schwiegervater noch am Leben gewesen wäre und Lust bekommen hätte, sich mit seinem Schwiegersohn zu unterhalten, statt ihn zu erwürgen, hätte er ihm erzählt, dass er die Statue billig von einem Künstler in Petrozavodsk gekauft hatte, der den Fehler begangen hatte, dem Großen Führer der sozialistischen Revolution menschliche Züge zu verleihen. Der stahlgraue Leninblick wirkte eher verlegen, und die Hand, die geradewegs in die Zukunft weisen sollte, schien dem Volk, das Lenin doch führen sollte, eher zuzuwinken . Der Bürgermeister der Stadt, der die Statue bestellt hatte, regte sich schrecklich auf, als er das Ergebnis sah, und er machte dem Künstler klar, dass das Ding sofort verschwinden müsse, wenn der Bürgermeister nicht dafür sorgen solle, dass der Künstler selbst verschwand.
    Ausgerechnet in diesem Augenblick war Ingmars Schwiegervater des Weges gekommen, mal wieder auf einer seiner Shoppingtouren. Zwei Wochen später lag die Statue in Södertälje und winkte einer Garagenwand zu.
    Ingmar und Nummer eins stöberten in den Reichtümern und lachten dabei fröhlich. Dieses Zeug würde die Familie ja jahrelang ernähren!
    Nummer zwei war von der Entwicklung der Dinge nicht ganz so begeistert. Er hatte gehofft, dass der Tod seiner Mutter nicht vergebens gewesen war, dass sich danach wirklich etwas ändern würde.
    »Vielleicht hat Lenin nicht unbedingt überall den höchsten Marktwert«, versuchte er es und wurde sofort zum Schweigen gebracht.
    »Mein Gott, bist du negativ«, sagte Papa Ingmar.
    »Aber echt. Mein Gott, bist du negativ«, sagte Holger 1.
    »Genauso wenig wie das Kommunistische Manifest auf Russisch«, fügte Nummer 2 noch hinzu.
    * * * *
    Die Waren in der Garage ernährten die Familie volle acht Jahre. Papa Ingmar und die Zwillinge traten in die Fußstapfen von Ingmars Schwiegervater, von Marktplatz zu Marktplatz, und konnten sich mit einer gewissen Gewinnmarge einen erträglichen Lebensstandard sichern, vor allem deswegen, weil die Kommunisten in Södertälje keinen Anteil mehr von den Einnahmen bekamen. Genauso wenig wie das Finanzamt übrigens.
    Nummer zwei wünschte sich dabei die ganze Zeit weit weg, tröstete sich aber mit dem Gedanken, dass während der Marktjahre zumindest keine Zeit für republikanische Schnapsideen blieb.
    Nach diesen acht Jahren war nur noch die zweieinhalb Meter hohe Leninstatue

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