Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
Vom Netzwerk:
übrig sowie vierhundertachtundneunzig von den fünfhundert Exemplaren des Kommunistischen Manifests auf Russisch. Ein Exemplar hatte Ingmar auf dem Markt in Mariestad einem Blinden verkaufen können. Das zweite war auf dem Weg nach Malma Marken draufgegangen, als Ingmar Magen-Darm-Grippe bekam und das Auto anhalten musste, um sich in einen Straßengraben zu hocken.
    Insofern hatte Holger zwei doch recht behalten.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Holger 1, der in seinem ganzen Leben noch keine eigene Idee gehabt hatte.
    »Egal, was. Solange es bloß nichts mit dem Königshaus zu tun hat«, sagte Holger 2.
    »Das hat es aber«, sagte Ingmar. »Davon hatten wir in letzter Zeit viel zu wenig.«
    Ingmar hatte einen Einfall, wie sie durch eine Umarbeitung der Leninstatue doch noch mal etwas Geld zum Leben verdienen konnten. Ihm war nämlich aufgefallen, dass genau dieser Lenin eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem schwedischen König hatte. Sie mussten ihm bloß den Bart abhacken, ein bisschen was von der Nase wegklopfen und aus dem Käppi einfach Locken machen – und schwupps, war Wladimir Iljitsch kaum mehr von Seiner Majestät zu unterscheiden!
    »Hast du tatsächlich vor, eine zweieinhalb Meter hohe Königsstatue zu verkaufen?«, fragte Holger 2 seinen Vater. »Hast du denn überhaupt keine Prinzipien?«
    »Jetzt werd mal nicht unverschämt, mein lieber abtrünniger Sohn. Not kennt kein Gebot, das habe ich schon gelernt, als ich noch jung war und so übel dran, dass ich das neue Fahrrad eines Soldaten von der Heilsarmee beschlagnahmen musste. Der hieß übrigens auch Holger.«
    Und dann fuhr er fort, dass die Holgers ja gar nicht ahnen konnten, wie viele begüterte Königsanhänger es in diesem Lande gab. Eine Königsstatue konnte zwanzig- bis dreißigtausend einbringen. Vielleicht sogar vierzig. Und dann mussten sie nur noch den Lkw verkaufen.
    Ingmar legte los. Er klopfte und feilte und polierte eine ganze Woche lang. Und es gelang ihm besser als erwartet. Als Holger 2 das Resultat sah, dachte er, dass man von seinem Vater ja denken konnte, was man wollte, aber um einen Ausweg war er so schnell nicht verlegen. Und er war auch nicht ganz ohne eine gewisse künstlerische Ader.
    Blieb nur noch der Verkauf. Ingmar stellte sich vor, dass sie die Statue einfach in den Laderaum ihres Lkws hievten, um dann sämtliche Grafen und Barone auf den Gütern rund um Stockholm abzuklappern, bis einer von ihnen einsah, dass er ohne einen schwedisch-karelischen Granitkönig im Garten nicht leben konnte.
    Doch es war gar nicht so einfach, die Statue da hochzubefördern, schließlich durfte der König auch nicht hinten runterpurzeln. Holger 1 war mit Feuereifer dabei, seinem Vater zu helfen, wenn der ihm nur sagte, was er machen solle. Nummer zwei stand mit den Händen in den Hosentaschen daneben und sagte gar nichts.
    Ingmar betrachtete seine zwei Söhne und entschied, dass es besser war, wenn keiner der beiden ihm hier reinpfuschte. Papa würde das Ganze allein in die Hand nehmen.
    »Jetzt geht mal ein paar Schritte zurück und stört mich nicht«, sagte er und befestigte nach einem ausgeklügelten System Halteseile kreuz und quer an der Statue.
    Und dann fing er an zu kurbeln. Und bugsierte die Königsstatue tatsächlich ohne jede Hilfe bis an die Kante des Lkws.
    »So, jetzt nur noch das letzte Stückchen«, sagte der Königshasser befriedigt, eine Sekunde, bevor ein Halteseil riss.
    Damit fand Ingmar Qvists langer Lebenskampf sein Ende.
    Der König neigte sich nämlich demütig zu ihm vor, sah ihm zum ersten Mal in die Augen und fiel dann langsam, aber unerbittlich direkt auf seinen Schöpfer.
    Ingmar hauchte unter dem Gewicht des Königs sofort sein Leben aus, während dieser selbst in vier Teile zerbrach.
    Holger 1 war völlig verzweifelt. Direkt neben ihm stand Nummer zwei und schämte sich, weil er rein gar nichts empfinden konnte. Er betrachtete seinen toten Vater und neben ihm den zerbrochenen König.
    Wie es aussah, war dieses Match unentschieden ausgegangen.
    In der Provinzzeitung von Södertälje stand ein paar Tage später zu lesen:
    Mein geliebter Vater
    Ingmar Qvist
    hat mich verlassen.
    In unendlicher Trauer
    Södertälje, den 4. Juni 1987
    HOLGER
    –
    Vive la République
    * * * *
    Holger 1 und 2 waren identische Kopien voneinander. Und gleichzeitig so gegensätzlich wie nur was.
    Nummer eins hatte nicht eine Sekunde lang die Berufung seines Vaters infrage gestellt. Nummer zwei kamen als Siebenjährigem erste

Weitere Kostenlose Bücher