Die Anatomie des Todes
trotzdem ein mulmiges Gefühl, während der Strom der Bilder an ihr vorbeizog.
Als sie fertig waren und Blindheim keine kommunalen Gewaltverbrecher mehr in petto hatte, wurde das Deckenlicht wieder eingeschaltet. Maja empfand ein sonderbares Schuldbewusstsein, weil sie niemand hatte identifizieren können. Als hätte sie damit ihre Glaubwürdigkeit untergraben.
»Tut mir leid«, sagte sie zu Blindheim, der mit verschränkten Armen hinter ihr stand.
Der Kommissar wollte sich gerade zur Tür umdrehen, als Maja ihn fragte, ob er schon Gelegenheit gefunden habe, mit Solstrøm zu sprechen.
»Ja, heute Morgen. Er hat bestätigt, dass die vier Häuser
am Fyrbødervei, die er derzeit vermietet hat, in seinem Privatbesitz sind.«
»Er hat sie an Touristen vermietet!«
Blindheim nickte irritiert und schien ihren Ausbruch nicht nachvollziehen zu können. »Ja, an Touristen.«
»Aber ist das denn nicht illegal?«, fragte Stig.
»Nicht, wenn die Häuser auÃerhalb der Stadtgrenze liegen.«
»Und das tun sie?«
Blindheim nickte.
Maja stand auf. »Was ist mit den übrigen Häusern, die aufgekauft wurden?«
»Was soll mit ihnen sein?«
Maja meinte in Blindheims Blick ein herausforderndes Blitzen zu erkennen.
»Werden die auch vermietet?«
»Es ist nicht Aufgabe der Polizei zu überprüfen, was die Leute mit ihren Immobilien anstellen.«
»Sofern sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegen«, ergänzte Stig.
»Selbstverständlich. Falls wir Hinweise auf illegale Tätigkeiten haben, gehen wir der Sache natürlich nach.«
Er hatte den Ball geschickt auf ihre Hälfte zurückgespielt. Blindheim hatte den Fall abgeschlossen, ehe er sich überhaupt entwickeln konnte.
»Was ist mit Rolf Vikse?«, wollte Stig wissen. »Gibt es da schon irgendwelche Spuren?«
»Wir fahnden nach ihm«, antwortete Blindheim einsilbig, hob die Hand zum Gruà und verschwand aus der Tür.
Stig schaute Maja kopfschüttelnd an. »Der könnte hier doch unbehelligt auf dem Marktplatz sitzen.«
Maja schwieg, vor allem weil ihr Rolf Vikse egal war. Er war es jedenfalls nicht gewesen, der Kvam oder Lilleengen getötet hatte. Sie hatte keine Lust, sich jetzt über dieses
Thema auszulassen. Es waren andere Dinge, die sie beschäftigten.
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Als sie das Polizeirevier verlieÃen, verfluchte Maja sich dafür, das mit der Stadtgrenze nicht genauer untersucht zu haben. »Verdammte ScheiÃe!«, zischte sie, als sie über den Parkplatz gingen.
»Was hast du gesagt?«
Sie blieb stehen und schaute Stig an. »Ich weià genau, was du jetzt denkst.«
Stig warf ihr einen fragenden Blick zu. »Und, was denke ich jetzt?«
»Zuerst ist mein Auto angesprungen, dann konnte ich keinen der mutmaÃlichen Täter identifizieren, und schlieÃlich noch ⦠die Sache mit der Stadtgrenze, ach verdammt â¦Â« Sie spürte, dass sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Diese verräterischen Tränen, die sie stets überrumpelten, wenn sie die nackte Wut packte.
»Und weiter?«, fragte Stig mit zaghaftem Lächeln.
»Du glaubst doch genauso wie Blindheim, dass ich mir alles nur ausgedacht habe, dass ich ⦠übergeschnappt bin!«
»Nein, das tue ich nicht«, entgegnete Stig, während er das Auto aufschloss.
Fast hätten seine Worte sie überzeugt.
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Als sie zu Stig nach Hause kamen, wechselte er die Verbände an ihren Händen. Aus dem Wohnzimmer hörte man das Knacken der Holzscheite im Kamin. Maja fühlte sich geborgen und erinnerte sich daran, wie sie das erste Mal bei ihm übernachtet hatte. Bei Stig hatte man es gut.
Trotz der ständigen Unordnung war es gemütlich bei ihm. Es war eine Unordnung, die zeigte, dass hier jemand wohnte und stets mit verschiedenen Dingen gleichzeitig beschäftigt war. Ob er nun seine eigene Currymischung
komponierte oder mitten im Wohnzimmer seine Skier auf Vordermann brachte oder eine Wasserpumpe reparierte, deren Einzelteile zwischen Dokumenten und Zeitschriften auf seinem Schreibtisch lagen. Sie fragte sich manchmal, ob Stig selbst noch den Ãberblick über seine Tätigkeiten behielt, doch falls nicht, schien ihn das nicht sonderlich zu stören.
Sie saÃen gerade auf dem Rand seiner Badewanne, als sie beschlossen, noch mal von vorn anzufangen. Ihr alter Streit um die Weitergabe des
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