Die Anatomie des Todes
Obduktionsberichts sollte ein für alle Mal begraben sein. Vor allem sehnten sie sich beide nach der Nähe des anderen. So deutlich wurde das zwar nicht ausgesprochen, doch lieÃen ihre Halbsätze und vagen Andeutungen keinen Zweifel daran. Sie hatten sich gegenseitig vermisst.
Stig nickte und legte die Mullbinde auf das Waschbecken »Vielleicht ist das nur ein schwacher Trost«, sagte er, »aber LokalNyt hat sich neulich von Herrn Brask getrennt. Keiner konnte den Penner mehr ertragen.«
»Seine schmalen Lippen haben sich im Fernsehen auch nicht gut gemacht«, entgegnete Maja.
Stig grinste. »Du hast wirklich einen guten Blick.«
»Da mein Namensgedächtnis so schlecht ist, habe ich mir die Menschen schon immer anhand ihrer Eigenschaften gemerkt.«
»Und welche Eigenschaften verbindest du mit mir?«
Maja verzog das Gesicht, als sei das die dümmste Frage, die ihr seit langer Zeit untergekommen war. »Natürlich deine strubbeligen Haare.«
»Du meinst, die passen zu meiner Persönlichkeit?«
»Ja, zumindest an guten Tagen. Ansonsten könntest du ein Mitglied von Aha sein.«
Stig schüttelte den Kopf. »Aha? Was soll ich denn mit denen gemein haben?«
»Vielleicht deinen nicht mehr taufrischen, aber jungenhaften Charme.«
Stig hob die Brauen. »Kann ich mir aussuchen, ob das ein Kompliment sein soll?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Maja grinsend.
Stig entgegnete, das sei das letzte Mal, dass er ihr mit den Verbänden geholfen habe. Die müsse sie in Zukunft selbst wechseln.
In der Nacht hatten sie wieder Sex. Ihre Körper erinnerten sich aneinander, nur konnte Maja ihre verbundenen Hände nicht benutzen und fühlte sich an Fesselspiele erinnert. Die Wunden in ihren Handflächen platzten auf und hinterlieÃen feuchte Spuren auf seinem nackten Rücken. Doch spürte sie keinen Schmerz mehr, sondern nur die Wärme in ihrem SchoÃ.
Hinterher lag ihr Kopf auf seiner Brust. Seine Haare kitzelten in ihrem Ohr, aber sie lag einfach zu gut, um sich daran zu stören.
»Ich könnte mir gut vorstellen, die Häuser im Heringsviertel mal näher unter die Lupe zu nehmen«, sagte Stig ins Dunkel hinein.
Wenn er sprach, drang seine Stimme von seinem Brustkasten direkt in ihr Ohr. Es waren behagliche Schwingungen, so wie der sanfte Wind die Zweige vor dem Fenster in Bewegung setzte. »Und Solstrøm auf den Zahn zu fühlen«, fügte er hinzu.
»Ich glaube, dazu ist es zu spät.«
»Warum?«
»Weil Blindheim schon dafür gesorgt hat, dass Solstrøm und die anderen in Deckung gegangen sind.«
Stig biss sich auf die Lippen. »Da hast du bestimmt recht.«
»Aber vielleicht war das ja auch beabsichtigt.«
»Was?«
»Na, das Ganze zu verschleiern.«
»Und wo wäre das Motiv?«
»Solstrøm kann doch nicht allein dafür verantwortlich sein. Irgendjemand deckt ihm den Rücken, nur weià ich noch nicht, wo der Kommissar steht.«
»Hältst du es wirklich für möglich, dass er in die Sache verstrickt ist?«
»Grundsätzlich ist jeder verführbar, auch ein Kommissar mittleren Alters.«
»Also ich weià nicht â¦Â«
Ihre Kühle schien ihn zu erschrecken. »Blindheim ist doch eigentlich ein netter Kerl â¦Â«
»Kann schon sein«, entgegnete Maja schläfrig. »Wir müssen zur Brücke ⦠zur Brücke zurück«, war das Letzte, das sie sich murmeln hörte, ehe sie einschlief. Im Traum gerieten alle Eindrücke durcheinander, die sie in letzter Zeit gesammelt hatte. Die Fäden verhedderten sich. Ein Muster war nicht mehr zu erkennen.
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Maja wurde durch Stigs Stimme geweckt.
»Ich muss jetzt gehen.«
Er stand halb angezogen am Ende des Bettes und kämpfte mit einem Stiefel. DrauÃen war es hell, doch hatte sie kein Gefühl dafür, wie spät es sein mochte.
»Die Redaktion hat angerufen«, sagte er ernst.
Maja richtete sich mühsam auf und rieb sich die Augen. »Was ist passiert?«
»Sie haben eine Leiche im Fluss gefunden.«
»Weià man, um wen es sich handelt?«
»Es gibt Gerüchte, dass es Vikse sein könnte.«
»Ich komme mit.«
Maja schwang die Beine aus dem Bett und suchte ihre Kleider zusammen, die auf dem Boden lagen.
Sie sah Stig an, dass er Einspruch erheben wollte, sich aber einen Kommentar verkniff.
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Zwanzig
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