Die Anatomie des Todes
wollen dir doch nur helfen, Maja. Wollen herausfinden, was genau auf der Brücke passiert ist. Kannst du uns das nicht erzählen?«
Maja atmete tief durch. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Sie wusste nicht, was und wie viel sie ihnen erzählen konnte. Stig, der ihr Vertrauen missbraucht hatte, und Blindheim, dessen Loyalität ungewiss war. Doch vielleicht konnte sich ihre Beziehung klären, wenn sie ihnen erzählte, was sie herausgefunden hatte. In irgendeiner Form mussten sie darauf reagieren. Wie Stig und Blindheim jetzt vor ihr saÃen, wirkten sie enger miteinander verbunden, als ihr lieb war. Sie zögerte kurz, ehe sie zu erzählen begann:
»Jemand hat versucht, mich von der Brücke zu werfen. Es war derselbe Mann, der in meine Praxis eingebrochen ist und mir das hier verpasst hat.« Sie zeigte auf ihre Stirnnarbe. »AuÃerdem ist es derselbe Idiot, der mich zusammen mit seinem Kompagnon schon seit einiger Zeit terrorisiert.«
Stigs und Blindheims Minen war zu entnehmen, dass Maja ihre volle Aufmerksamkeit hatte. In den nächsten zwanzig Minuten setzte sie ihren Bericht fort. Punkt für Punkt erzählte sie von den Entdeckungen, die sie gemacht hatte. Wie es ihr gelungen war, den Verkauf von Lilleengens Haus aufzudecken und dem schwunghaften Immobilienverkauf
im Heringsviertel auf die Spur zu kommen. Und wie sie letztendlich â bevor man versucht hatte, sie von der Brücke zu werfen â auf das finanzielle Motiv gestoÃen war, das womöglich allem zugrunde lag. Ein Motiv, das sich in Form eines pastellfarbenen Hauses offenbart hatte, in dem eine deutsche Familie ihren Urlaub verbrachte. Jemand war dabei, das Heringsviertel in eine Feriensiedlung zu verwandeln, womit gegen das Gesetz verstoÃen wurde, das verhindern sollte, dass sich bestimmte Gegenden in Geisterstädte verwandelten.
»Wenn man herausfindet, wer die Bauprojekte im Heringsviertel finanziert, dann wird man auch wissen, wer für die beiden Morde in der Losgata und den Mordanschlag auf mich verantwortlich ist.«
Stig lehnte sich zurück. »Du warst ja ganz schön fleiÃig.«
Maja spürte, dass er beeindruckt war. Sie zuckte lässig die Schultern, was ihr schmerzhaft in Erinnerung brachte, dass eine Schulter gerade erst wieder eingerenkt worden war.
Blindheims Gesichtsausdruck verriet, dass sein innerer Lügendetektor vollauf damit beschäftigt war, ihre Aussagen zu prüfen und ihre persönlichen Motive abzuschätzen. Sein analytischer Verstand würde rasch zu der Erkenntnis gelangen, dass Maja nichts zu gewinnen hatte, wenn sie log. Aber nur weil Maja an ihre eigene Version glaubte, musste das nicht zwangsläufig heiÃen, dass diese auch mit der Realität übereinstimmte. Ihre ganze Geschichte konnte einem labilen Geist entsprungen sein. Somit war schwer zu entscheiden, wer in ihrem Verhältnis Arzt und wer Patient war. Im Moment schien Blindheim jedenfalls deutlich besser in Form zu sein als sie. Sein gastrointestinales Screening musste einen glücklichen Ausgang genommen haben.
Stig wandte sich an den Kommissar. »Zumindest wegen der Vermietung der Ferienhäuser könnte man ihn doch drankriegen, oder?«, fragte er zögerlich.
»Natürlich werden wir prüfen, ob es eine gesetzliche Grundlage für diese Geschäfte gibt«, entgegnete Blindheim und blicke zu Maja hinüber. »Ist es Hjemstavn in der Haraldsgata?«
Sie nickte. »Der Makler, mit dem Sie reden müssen, heiÃt Solstrøm. Seinen Namen haben mir auch die deutschen Urlauber genannt.«
Blindheim schrieb sich den Namen auf. »Könnte er einer der Männer auf der Brücke gewesen sein?«
Maja schüttelte den Kopf. »Nein, ausgeschlossen.«
Blindheim kratzte sich mit der Spitze seines Kugelschreibers am Kinn.
»Können Sie die beiden Männer beschreiben?«
Sie erklärte Blindheim, wie die Männer aussahen. Beschrieb ihre slawischen Züge, die kahlen Schädel und den schleichenden, hyänenartigen Gang. »Es waren dieselben Männer, von denen ich Ihnen schon früher erzählt habe und von denen Sie glaubten, sie seien hinter meiner Arzttasche her.«
»Könnte es sein, dass ich diese Leute von irgendwoher kenne?«, fragte Stig neugierig.
Blindheim schaute ihn halbherzig an. »Ich kann nicht behaupten, dass wir schon früher mit diesen Männern zu tun hatten.«
Er wandte sich
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