Die Anatomie des Todes
bereits ein gewisses Muster ab.
Die sieben Adressen, die sie gefunden hatte, verschafften ihr schon einen ersten Eindruck, welche Entwicklung sich im Heringsviertel anbahnte. Was sie sich anhand der Zeitung und der Atteste zusammenreimen konnte, schien zwar nur die Spitze des Eisbergs zu sein, aber zwei Faktoren wurden bereits deutlich: Häufigkeit und Ausbreitung. Und durch das Verhältnis dieser beiden Faktoren zueinander konnte sie mit einer eigenen Diagnose beginnen. War der Virus erst mal erkannt, konnte womöglich auch der Infektionsträger ermittelt werden.
25
Abgesehen von dem Ehepaar mittleren Alters, das mit einer elegant gekleideten Maklerin um die vierzig sprach, war Maja die einzige Kundin im Geschäft. Die Maklerin warf ihr während des Kundengesprächs einen kurzen Blick zu und lächelte sie einladend an.
Während sie fortfuhr, dem Ehepaar ein bestimmtes Objekt anzupreisen, sah sie sich vergeblich nach einem Kollegen um, der sich um Maja kümmern konnte. Die lassen sich hier alle die Zähne bleichen, dachte Maja, als ihr das strahlend weiÃe Gebiss der Frau auffiel.
Maja wartete nicht darauf, dass ihr jemand behilflich war, sondern begann allein, sich einen Ãberblick über die Objekte zu verschaffen, die ein Teil der Verkaufsausstellung waren. Sie drehte an den runden Ständern, als handle es sich um buddhistische Gebetstrommeln, doch blieb ihre Suche nach Verkaufsangeboten im Heringsviertel erfolglos. Hier wurden ausschlieÃlich teure Vorstadtvillen und attraktive Innenstadtwohnungen angeboten.
»Sie suchen nach einem Haus?«, hörte sie plötzlich eine muntere Stimme hinter sich.
Maja drehte sich um und erblickte eine dichte Reihe blendend weiÃer Zähne. Sie lächelte höflich zurück.
»Ich wollte Sie schon anrufen«, sagte der Makler.
»Ach wirklich?«
»Ich habe eine richtig schöne Wohnung für Sie gefunden.«
»Ja?«
»Dann müssen Sie nicht länger da drüben wohnen«, fuhr er fort und rümpfte wissend die Nase.
»Wo liegt denn die Wohnung?«
»Gleich hier um die Ecke. Eine hübsche, helle Dreizimmerwohnung zu einem fairen Preis.«
»Hört sich interessant an.«
»Ich weià natürlich nicht, ob das für Sie immer noch aktuell ist â¦Â«
Der Makler zögerte, ehe er weitersprach. »Oder wollen Sie uns vielleicht schon wieder verlassen?«
Sie machte bewusst eine kleine Pause.
»Sonst wäre ich ja wohl nicht hier.«
»Nein, da haben Sie natürlich recht.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Sie suchen also vielleicht gar nicht nach einem vorübergehenden, sondern nach einem ⦠festen Wohnsitz?«
»Es könnte schon sein, dass es sich so entwickelt.«
»Ach so, tja, eigentlich dachte ich ⦠Sie wären nur auf der Durchreise«, bemerkte er und begann nervös, einen Drehständer in Bewegung zu setzen.
Sie zuckte die Schultern. »Kommt ganz drauf an. Das ist hier ja eine interessante Stadt, die einem verschiedene Möglichkeiten bietet.«
»Was könnten Sie sich denn vorstellen? Eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung, ein Haus, eine Hütte?«
»Ich weià noch nicht genau. Vielleicht eine Art ⦠Handwerkerangebot?«
Der Makler hielt den Ständer an.
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, irgendeine alte Bruchbude, die man instandsetzen kann.«
»So etwas vermitteln wir eigentlich nicht.«
»Da ist mir aber etwas anderes zu Ohren gekommen.«
Das Lächeln des Maklers war erloschen.
»Sie haben sich doch persönlich um den Verkauf von Jo Lilleengens Haus gekümmert, nicht wahr?«
»Also mit dem Namen kann ich im Moment gar nichts â¦Â«
»Losgata 15.«
»Ach das â¦Â« Der Makler schüttelte den Kopf. »Das war reiner Zufall, ein Freundschaftsdienst, nichts weiter.«
»Und Osebakken, Sundgata, Fabrikkveien? Alles Freundschaftsdienste?«
Der Makler schaute sie verunsichert an, während Maja ungerührt fortfuhr:
»Wenn Sie schon so hilfsbereit sind, dann könnten Sie doch auch mir einen Gefallen tun.«
»Diese Adressen sagen mir nichts. Wenn Sie unter den Angeboten, die Sie hier sehen, nichts finden, dann können wir leider nichts für Sie tun.«
»Und Sie haben wirklich nichts in dieser Gegend?«
»Nein.«
»Und das Haus von Jo Lilleengen war das Einzige aus dem Heringsviertel, das Sie verkauft
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