Die Anatomie des Todes
es ihr nicht mehr so merkwürdig vor, dass Menschen aus besseren Stadtteilen in das ärmliche Heringsviertel auf der anderen Seite der Brücke zogen. Sverkmo hat seinen Hauskauf als »Handwerkerangebot« bezeichnet. Vermutlich profitierte auch er von einer Entwicklung, die den Arbeitern schönere Häuser und der ganzen Gegend ein neues Gesicht bescherte.
Warum war sie trotzdem nicht begeistert von ihrer Entdeckung?
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Der Badewanne entstieg ein Duft nach Lavendel. Sie hatte noch eine Flasche gekühlten Sancerre, um die Rohypnoltabletten hinunterzuspülen, und genug Zigaretten, um stundenlang in der Badewanne zu bleiben. Der fast schwerelose Zustand, in dem sie sich befand, brachte ihre Gedanken in Schwung. Und als das Wasser schon merklich abgekühlt war, kam ihr die erhellende Erkenntnis: Die Gegenwart des Immobilienmaklers war es, die ihr nicht geheuer gewesen war. Sein Porsche, seine gebleichten Zähne, sein bunter Schlips. Zwar kannte sie die norwegischen Honorare nicht, doch dürfte die Vermittlung von Häusern im Heringsviertel kaum seinen Krawattenetat decken. Hinter seinem Engagement musste noch etwas anderes stecken. Vielleicht Geschäfte von solchem Wert, dass man dafür gar einen Mord in Kauf nahm. Falls jemand gewisse Pläne mit dem Heringsviertel
hatte, lag dem Aufkauf mehrerer Häuser vielleicht ein bestimmtes Muster zugrunde. War es vorstellbar, dass jemand diese Geschäfte steuerte? Dass jemand bestimmte, wer aus- und wer einzog? Und zu welchem Preis dies geschah?
Fragen über Fragen türmten sich auf, doch der zunehmende Konsum von Tabletten und Wein machte es Maja immer schwerer, schlüssige Antworten zu finden. Sie sehnte sich hingegen danach, ihrem Ruhebedürfnis nachzugeben und einfach einzuschlafen â¦
Stunden später wachte sie zähneklappernd und fast blaugefroren im eiskalten Wasser auf. Morgen würde sie ihn näher unter die Lupe nehmen: den Kerl mit den weiÃen Zähnen und dem farbenfrohen Schlips.
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Maja bemerkte es erst, nachdem sie den Motor angelassen hatte und die Losgata hinunterfuhr. Der Wagen rumpelte so hart über das Pflaster, dass sie am StraÃenrand anhielt, um nachzusehen, was los war. Sie sah rasch, dass sowohl der Vorder- als auch der Hinterreifen auf der rechten Seite platt waren. Sie ging in die Hocke und strich mit dem Finger über den langen Riss im Reifen. Es konnte sich nicht um ein Unglück handeln. Jemand hatte ihn mit einem Messer aufgeschlitzt. Sie musste im Ãrztehaus anrufen und Bescheid geben, dass sie sich verspätete. Vielleicht konnte Linda auch schon mal die Telefonnummer einer Kfz-Werkstatt heraussuchen.
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Im Pritschenwagen der Firma Eskilds Auto war es angenehm warm. Eskild selbst sprach über Funk mit seiner Frau, die im Büro die Stellung hielt, bereits bestätigt hatte, dass die richtige ReifengröÃe vorrätig war, und ihren Lehrling darüber informiert hatte, dass er noch einen dringenden Termin dazwischenschieben musste. Eskild hatte nicht mehr allzu
viele Zähne im Mund, was sein Lächeln nur umso entwaffnender machte.
»Keine Sorge, das haben wir bald.«
Maja dankte ihm zitternd.
»Mein Gott, wie Sie frieren.«
»Es geâ¦geht schon.« Maja war immer noch nicht wieder warm geworden, nachdem sie eine Dreiviertelstunde bei eisiger Kälte gewartet hatte. Natürlich hätte sie auch hineingehen können, hatte die Wartezeit jedoch dazu benutzt, die aufgeschlitzten Reifen näher zu untersuchen.
»Haben wir noch heiÃen Kaffee?«, fragte Eskild seine Frau.
»Das haben wir doch immer«, entgegnete sie ein wenig vorwurfsvoll.
»Wollte nur sichergehen. Ich hab hier nämlich eine völlig verfrorene Ãrztin neben mir sitzen.«
Eskilds Frau Berit schien das gar nicht komisch zu finden. Sie tadelte ihren Mann dafür, dass Maja so lange in der Kälte habe warten müssen, und wollte auch von seinen Entschuldigungen nichts wissen. Maja konnte sich ein Lächeln über ihren gutmütigen Streit nicht verkneifen. Vielmehr schienen sich die beiden auf diese Art ihre Verbundenheit und Zuneigung zu versichern, obwohl sie bestimmt schon seit vielen Jahren miteinander verheiratet waren.
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Berit war genauso redselig wie ihr Mann. Sie lotste Maja sofort in ihr kleines Büro und bot ihr einen Kaffee an.
»Frisch aus der Thermoskanne.«
Ihr Mann musste hingegen gleich wieder aufbrechen und sich um
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