Die Anatomie des Todes
ein Fahrzeug mit Startschwierigkeiten in der Haraldsgata kümmern. Während der Lehrling in der Werkstatt die defekten Reifen wechselte, nahm sich Berit ihrer Kundin an und brachte ihren Zorn über den Vorfall zum Ausdruck.
»So was passiert Gott sei Dank nur sehr selten bei uns in der Stadt. Diese Jungs hätten eine Tracht Prügel verdient.«
»Ja«, entgegnete Maja automatisch.
»Haben Sie die Polizei verständigt?«
Maja schüttelte den Kopf.
»Nein, die haben doch bestimmt schon genug damit zu tun, nach diesem flüchtigen Mörder zu fahnden.«
Berit servierte ein paar ungewöhnlich trockene Kekse, die sie selbst gebacken hatte. Maja aà pflichtschuldig einige davon, da Berit sich sehr über den unerwarteten Besuch zu freuen schien. Als Maja schlieÃlich aufbrechen wollte, runzelte Berit zum ersten und einzigen Mal die Stirn. Das lag daran, dass Maja darauf bestand, die kaputten Reifen mitzunehmen.
»Aber warum wollen Sie die schmutzigen alten Reifen in Ihrem schönen Wagen haben?«
»Beweismaterial«, antwortete Maja.
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Auf dem Weg zum Ãrztehaus dachte Maja, dass es für den Täter bestimmt keine Rolle spielte, ob er Reifen oder Menschen aufschlitzte. Sie war davon überzeugt, dass vergangene Nacht wieder der schwarze Van an ihrem Fenster vorbeigefahren war, aber das machte ihr nicht so viel aus. Vermutlich sollte sie nur eingeschüchtert werden. Und solange sie glaubten, sie einschüchtern zu können, würden sie ihr gewiss nichts antun. Fraglich allerdings war, wann sie zu anderen Methoden übergehen und sie persönlich aufsuchen würden. Sie hatte das Gefühl, relativ sicher zu sein, solange sie sich vorsichtig und unauffällig verhielt. Wenn irgendwelche illegalen Dinge im Heringsviertel vor sich gingen, würden die Täter keinen dritten Todesfall in ein und derselben StraÃe riskieren. Dann säÃe ihnen Blindheim endgültig im Nacken. Zumindest hoffte Maja, dass ihre Theorie zutraf.
Die Schlitze in den Reifen lieÃen darauf schlieÃen, dass sie von einem kurzen Messer verursacht worden waren. Möglicherweise ähnelte es dem Exemplar, mit dem Kvam ermordet worden war. Um das zweifelsfrei festzustellen, müsste sie eine mikroskopische Analyse und Materialuntersuchung in Auftrag geben. Doch da ihr Verhältnis zur Polizei und zum Skansen derzeit empfindlich gestört war, musste sie sich zunächst mit der Vermutung begnügen, dass es sich um dasselbe Messer gehandelt haben könnte. Sie fragte sich, ob noch andere Verdächtige als die beiden Männer im schwarzen Van in Frage kamen. Gab es irgendjemanden, der Grund hatte, sie zu schikanieren? War Petra womöglich dazu in der Lage, aus Wut über ihre Entlassung? Es ärgerte Maja, dass sie Petra seit ihrer Entlassung nicht gesehen hatte, dann hätte sie zumindest die Situation zwischen ihnen klären können. Doch Petra hatte sich nicht mehr im Fitnessstudio blicken lassen, und Maja hatte keine Lust, sie zu besuchen. Plötzlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, Petra überhaupt zu verdächtigen.
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Nachdem sich Maja von ihrem letzten Patienten verabschiedet hatte, fuhr sie zur Stadtbibliothek.
Da sie bald schlieÃen würde, war der Lesesaal vollkommen leer. Maja zog die roten Plastikkästen, in denen sich die Ausgaben der Vestposten befanden, zu einem der Tische. Falls jemand geheime Pläne mit dem Heringsviertel hatte, würden die Immobilienanzeigen vielleicht darüber Aufschluss geben. Dort war sie schlieÃlich auch auf den Hausverkauf von Eva Lilleengen an Sverkmo gestoÃen. Doch wollte sie nicht nur die Namen der einzelnen Bohrarbeiter sorgfältig durchgehen, sondern die Annoncen auch genau studieren, um herauszufinden, ob die verkauften Häuser überhaupt in der Zeitung angeboten worden waren.
Als sie sämtliche Ausgaben zwischen August und Oktober
durchgearbeitet hatte, streckte der Bibliothekar den Kopf zur Tür herein und sagte, dass jetzt Feierabend sei. Was diese drei Monate betraf, hatte Maja bereits sieben verkaufte Häuser im Heringsviertel entdeckt. Vier davon standen auf ihrer Liste der Bohrarbeiter, denen sie ein Offshore-Attest ausgestellt hatte, drei Namen waren ihr unbekannt. Keines der Objekte war zum Verkauf angeboten worden. Auf so ein aussagekräftiges Ergebnis hatte sie gar nicht zu hoffen gewagt. Zehn Minuten vor SchlieÃung der Bibliothek zeichnete sich
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