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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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»Komm ins Haus. Wir gehen alle ins Haus.« Sämtliche Blicke richteten sich auf mich.
    »Das ist wirklich gastfreundlich von dir, Tante Kat, dass du Paige in Ellas Haus einlädst.«
    Ich merkte, wie mein Mund ein Lächeln formte, hörte mich sagen: »Ja, natürlich, kommen Sie doch.« Annie, die sie wieder vom Arm abgesetzt hatte, stand jetzt zwischen uns und sah abwechselnd zu ihr und zu mir, wie ein Schiedsrichter beim Tennismatch. Meine Absätze versanken im Gras.
    »Das ist wirklich nett«, erwiderte Paige. »Mein Flug geht erst morgen. Vielen Dank.«
    Ich wollte nichts über Paige wissen – nicht, wohin ihr Flugzeug sie morgen zurückbringen würde, nicht, womit sie ihr Geld verdiente, nicht, ob sie noch weitere Kinder hatte, und wenn ja, ob sie sie diesmal selbst großzuziehen gedachte. Aber okay. Sie ging ja wieder. Sie würde höchstens eine Stunde im Haus sein und dem Mann die letzte Ehre erweisen, dem sie zu seinen Lebzeiten wenig Wertschätzung entgegengebracht hatte. Dann würde sie wieder gehen, und morgen würde sie fliegen, ganz weit weg in das Land der weggegangenen Mütter.
    Gil und David fuhren die Kinder und mich nach Hause. Im Auto drehte sich David zu uns um und wollte etwas sagen, doch als er die Kinder rechts und links an mich gelehnt sah, überlegte er es sich offensichtlich anders und blickte wieder nach vorn. Ich starrte die ovale Narbe an Gils rundem Hinterkopf an, und fragte mich, wie lange sie wohl verborgen unter seinen Haaren versteckt gewesen war, bevor er sich eine Glatze rasiert hatte. Ob sie von einer Wunde aus der Kindheit stammte, von einem Fahrradunfall als Teenager? Oder war sie neueren Ursprungs? Ein Streit mit einem Liebhaber, der ausgerastet war, in der Zeit, bevor Gil David kennengelernt hatte?
    Annie seufzte und sagte: »Sie ist hübsch!«
    Annie war drei Jahre alt, als Paige sie verlassen hatte. Woran konnte sie sich noch erinnern? »Erinnerst du dich an sie, Banannie?«, fragte ich.
    Annie nickte. »Sie riecht immer noch gut.«
    Sie konnte sich an ihren Duft erinnern. Natürlich. Ich selbst hatte den Duft jedes einzelnen T-Shirts eingesaugt, das Joe kürzlich getragen hatte, dankbar für meine Neigung, Schmutzwäsche nicht sofort in die Waschmaschine zu stecken. Ich vergrub das Gesicht jedes Mal in seinem Bademantel, wenn mein Blick im Bad darauf fiel, und tupfte mir sein Aftershave aufs Handgelenk. Natürlich erinnerte sich Annie.
    Im Haus ging ich Paige aus dem Weg. Ich wusste immer, wo sie sich gerade aufhielt, denn der Boden schien sich in ihre Richtung zu neigen, als befänden wir uns auf einem Floß, und ich wäre aus Federn und sie aus Gold.

    Annie kam und lehnte sich an mich. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht, glitt mit den Fingern durch ihren Pferdeschwanz. Dann lief sie zu Paige, nahm sie bei der Hand und führte sie ins Kinderzimmer. Meine eifrigste Verbündete, Lucy, flüsterte mir ins Ohr: »Die Frau hat Nerven«, aber sonst sagte niemand etwas. Bei Beerdigungen ließen die meisten Menschen wohl ihren alten Groll zu Hause.
    Sei’s drum. Ich hatte jedenfalls nicht das Bedürfnis, mit Joes Exfrau am Tag seiner Beerdigung zu plaudern, und auch nicht an irgendeinem anderen Tag. Was wollte sie? Warum war sie hier? Die sechsjährige Annie teilte ihre Zeit zwischen uns beiden auf, als fühle sie sich irgendwie dazu verpflichtet, wo sie doch an nichts anderes denken sollte als an sich selbst und ihren Daddy. Zach wanderte zwischen Marcella, meiner Mutter und mir hin und her.
    Einmal kam ich um eine Ecke und sah, wie Paige und Franks Frau, Lizzie, sich umarmten und weinten. Mein Gesicht wurde glühend heiß, und ich stürzte zurück zu den anderen in der Küche. Obwohl Frank und Joe seit der achten Klasse beste Freunde waren, hatte ich höchstens fünfmal ihr Haus betreten. Lizzie und Paige waren eng befreundet gewesen, und Lizzie hatte mir gleich bei unserer ersten Begegnung erklärt, dass wir zwei nie Freundinnen werden würden. Anstatt meine Hand zu schütteln, die ich ihr hinhielt, hatte sie sie in beide Hände genommen und gesagt: »Sie scheinen nett zu sein. Aber Paige ist meine beste Freundin. Ich hoffe, Sie verstehen das.« Dann war sie gegangen und hatte sich mit anderen unterhalten. Seither grüßten wir uns, begannen hin und wieder einen Smalltalk über die Kinder, führten aber nie ein ernsthaftes Gespräch. Joe und ich hatten niemals mit Frank und Lizzie gemeinsam zu Abend gegessen, wenn, dann nur mit Frank. Alle anderen in Elbow hatten mich

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