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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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herzlich aufgenommen, aber Lizzies Ablehnung machte mir manchmal zu schaffen, wie ein kleiner Stein in einem ansonsten wunderbar passenden Schuh.
    Ich hatte Annie und Zach einen Pappteller mit Essen gebracht, und dann dauerte es nicht mehr lange, und ihre Müdigkeit wurde offensichtlich. Zach lag daumennuckelnd in meinem Schoß, seinen geliebten Bubby im Arm, einen türkisen Hasen, der schon lange keine Füllung mehr hatte. Annie rannte völlig überdreht durch die Gegend, was sie oft tat, bevor sie dann schlagartig umfiel. »Kommt, ihr beiden. Sagt allen gute Nacht, und dann bringe ich euch ins Bett.«
    »Nein!«, beschwerte sich Annie. »Ich bin noch nicht müde.«
    »Schätzchen, du bist doch ganz erschöpft.«
    »Wie bitte? Bist du ich oder bin ich ich?« Sie hatte die Hand auf die vorgeschobene Hüfte gestemmt, und mit der anderen Hand zeigte sie auf ihre Brust. Paige warf gerade einen Blick um die Ecke.
    Ich atmete tief durch. Manchmal benahm sich Annie wie eine pubertierende Sechsjährige. In Wahrheit waren wir alle erschöpft. »Du bist du. Und ich bin ich. Und ich bin Mommy. Deine Mom.« Ich zeigte mit dem Finger auf mich, sagte »ich« und stand auf. »Und du machst, was deine Mom sagt.«
    Sie lachte. Ich seufzte erleichtert auf. »Sehr gut!«, sagte sie begeistert. »Du hast mich diesmal geschlagen.« Ich sah, dass Paige sich abwandte. Die Kinder sagten allen nacheinander gute Nacht. Paige ging in die Hocke, nahm sie beide in die Arme und erzählte ihnen etwas. Mein Gott, es war wirklich komisch, sie so zu sehen, in unserem Haus, wie sie sich mit unseren Freunden und Angehörigen unterhielt, unsere Kinder an sich drückte.
    In ihrem Zimmer setzte ich mich in den alten Schaukelstuhl, und Annie und Zach kletterten auf meinen Schoß. Ich las ihnen vor und blieb danach so lange, bis sie eingeschlafen waren, was nur etwa fünf Minuten dauerte. Als ich dann aufstand, fiel mein Blick auf eine Kiste mit alten Büchern, die ich hinten im Schrank verstaut hatte und die jetzt neben dem Schaukelstuhl stand. Hatten die Kinder etwas Bestimmtes gesucht und sie hervorgeholt? Die meisten Bücher darin kannten sie in- und auswendig, oder sie waren inzwischen zu alt dafür. Aber vielleicht waren sie ihnen ja wieder neu vorgekommen. Oder Annie hatte sie Paige gezeigt.
    Ich ging hinaus und schloss leise die Tür. Im Flur hielt David mir ein Glas Jack Daniel’s hin. »Sie ist weg. Verschwunden«, flüsterte er.
    Ich war kein großer Jack-Daniel’s-Fan, doch ich nahm das Glas und trank es auf ex. Dann schnappte ich mir Joes Daunenjacke und ging nach draußen. Nebel war aufgezogen und hatte die Luft abgekühlt. Inzwischen waren die meisten Trauergäste gegangen, und nur noch die engsten Freunde und Verwandten da, die sich nun gemeinsam Fotoalben ansahen und sich betranken. Durch das Panoramafenster sah ich das Bild einer Familie, die alles überdauert; das warme Lampenlicht umhüllte sie wie sanfte, beständige Liebe.
    Ich schlüpfte in Joes Jacke und ging in den Garten, suchte die Gesellschaft von Tomaten, Schalotten und Kohl. Wie gern hätte ich mich zwischen die Reihen auf den feuchten Boden gelegt und ihren Duft eingesaugt. Vielleicht würde ich später zu der Gruppe Redwoods gehen und mich dort hinlegen, in die Mitte der dunklen Baumkathedrale, die wir »Unsere Liebe Frau der
Sequoia sempervirens«
getauft hatten. Joe hatte mir einmal erzählt, dass die Pomo-Indianer glaubten, die Wälder würden an einem Tag im Oktober sprechen und den Menschen Wünsche erfüllen. Doch der Oktober war noch weit weg.
    Lucy kam hinter mir hergelaufen. »Sich alleine davonmachen ist verboten.«
    »Und warum bitte schön?
    »Du brauchst eine Freundin. Und eine gute Flasche Wein. Besser noch, eine Freundin mit einem eigenen Weingut.« Sie hielt eine Flasche ohne Etikett hoch – der Grafiker arbeitete noch daran.
    »Okay, dann möchte ich aber auch noch eine Zigarette schnorren.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hab keine.«
    »Lügnerin. Du kriegst nur deine Periode.« Ich hatte mir die schlechte Angewohnheit vor fünfzehn Jahren abgewöhnt, nachdem ich im Biologieseminar an der Boston University eine Raucherlunge gesehen hatte, und mich in eine typische Exraucherin verwandelt – also in eine Fanatikerin, die selbstgerecht die Wonnen des Nichtrauchens predigte. Doch in dieser Nacht erschien mir eine Zigarette wie die Rettung. Und Lucy gehörte zu den wenigen Menschen, die es schafften, nur hin und wieder zu rauchen. Meistens dann, wenn sie

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