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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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Es kam mir seltsam vor, dass fast alle in der Kirche ihn länger gekannt hatten als ich. Ich war die Neue unter ihnen, doch fand Trost in der Vorstellung, dass sie Joe nicht auf die gleiche Weise verbunden waren wie ich.
    Hinterher gab es Gespräche, die kaum zu mir durchdrangen, Umarmungen, die ich kaum wahrnahm – als wäre ich am Ende doch in die Plastikfolie geschlüpft. Nur Annies und Zachs Hand spürte ich deutlich, die Zartheit ihrer Haut, den festen Druck ihrer kleinen Finger, als wir aus der Kirche schritten, am Grab auf dem Hügel standen, zum Auto gingen. Und dann ließ Annie meine Hand los. Sie bewegte sich auf eine beeindruckend schöne, blonde Frau zu, die ich nicht kannte und die am Rande des Friedhofs stand.
Vielleicht eine von Joes ehemaligen Mitschülerinnen
, dachte ich. Die Frau beugte sich hinab, und Annie streckte die Hand aus, berührte ihre Schulter.
    »Annie?«, rief ich, lächelte die Frau an. »Wirklich kein bisschen schüchtern, das Kind.«
    Die Frau nahm Annies andere Hand in beide Hände und flüsterte ihr etwas ins Ohr, dann sagte sie über die Schulter des Kindes hinweg zu mir. »Ich weiß das, glauben Sie mir. Aber Annie kennt mich, nicht wahr, Zuckerschnütchen?«
    Ohne ihre Hand wegzuziehen oder aufzublicken, nickte Annie, sagte: »
Mama?
«

4. Kapitel
    Annie hatte sie Mama genannt. Mich nannten Annie und Zach Mom und Mommy. Aber nicht
Mama
. Niemals
Mama
. Das hatte ich nie hinterfragt, genaugenommen hatte ich mir niemals Gedanken darüber gemacht, aber jetzt, auf dem Friedhof, hatte diese Unterscheidung etwas Alarmierendes: Mama ist die zuerst hervorgebrachte Variante von Mutter – das Murmeln des zufriedenen Babys an der Brust.
    Dann erkannte ich Paige wieder. Ich hatte sie einmal auf einem Foto gesehen, als strahlende Schwangere, das in einem Buch über Fotografie mit dem Titel
Das Licht einfangen
gesteckt hatte. Das war das einzige Foto, das Joe vergessen hatte – oder vielleicht behalten wollte –, als er sämtliche Spuren von ihr im Haus beseitigte. Ihre Schönheit hatte mich erstaunt. Als ich ihm das sagte, zuckte er die Schultern und sagte: »Ist ein gutes Foto.«
    Jetzt sah ich, dass Joe gern große Frauen an seiner Seite hatte. Paige war größer als ich, etwa ein Meter achtzig, und ich war es nicht gewöhnt, kleiner als andere Frauen zu sein. Ich hatte tolle Haare, wie all die Leute sagten, die es wild und rot und unbezähmbar mochten. Doch Paiges Haar war von universeller Schönheit – lang, blond, glatt, seidig. Shampoowerbungtauglich. Am Computer aufgehübschtes Haar, wie Frauen gern sagten, die sich beim Blick in Modemagazine mit den Worten trösteten: »Das Foto ist total retuschiert. Niemand hat solche Haare oder solche Haut oder so einen Körper.« Aber all das besaß Paige, und trug dazu eine Jackie-O.-Sonnenbrille, das einzige Accessoire, das unsere Kultur mit Stil, Enigma und einer starken, trauernden Witwe und Mutter assoziierte … oder in ihrem Fall, einer Mama.
    Annie nannte sie Mama.
    All diese Gedanken machten Bungee-Sprünge in den acht Sekunden in meinem Kopf, in denen sie sich anmutig auf ihren Stöckelschuhen aufrichtete, mit Annie auf dem Arm zu mir kam und mir die Hand hinhielt. »Hi. Ich bin Paige Capozzi. Zachs und Annies Mutter.«
    Mutter
? Definiere
Mutter
. Und sie hieß immer noch Capozzi.
Capozzi
? Joe Capozzi, Annie Capozzi, Zach Capozzi. Paige Capozzi. Und Ella Beene.
Etwas hier fällt aus dem Rahmen; etwas gehört nicht dazu
.
    Zach versteckte sich hinter mir, hielt mich noch immer an der Hand.
    »Hallo, Zach. Du bist aber groß geworden.«
    »In drei Jahren wachsen Kinder nun mal ein ganzes Stück, Lady«, murmelte Marcella neben mir.
    Joe senior sagte: »Was will sie denn hier – ach, in Gottes Namen.« Er legte den Arm um Marcellas Schulter, und sie gingen in die andere Richtung.
    Ich überlegte, Paige meinen Namen zu sagen.
Hi
, ich bin
Ella
,
Zachs und Annies Mutter.
Als wären wir Kandidatinnen in
Was bin ich?.
Ich sagte nichts. Leute versammelten sich um uns. Joes Verwandte, alle außer seinen Eltern, sagten ihr höflich guten Tag, doch auf einmal wirkten sie alle wie Briten, nicht wie Italiener. David, der neben mir stand, sagte: »Echt nett, dich mal wieder zu Gesicht zu bekommen, Paige. Du siehst wirklich umwerfend aus …«, und dann, im Flüsterton an mich gewandt: »… für eine Beerdigung.«
    Tante Kat, die sonst immer in ihrer kleinen Gestalt ein ganzes Begrüßungskomitee zu vereinigen schien, sagte schließlich:

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